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Ukraine/Mykolaiv

Im Umbruch

N 46°59'30.1'' E 031°56'00.7

Wir sitzen auf dem Balkon, blicken auf die vorbeiziehenden großen Frachtschiffe und genießen unser Frühstück. Wir genießen die letzten Minuten des Luxushotels von dem wir nie geglaubt hätten, dass es in diesem unscheinbaren 25.000 Selenstädtchen so etwas überhaupt gibt. Seit dem wir im Osten unterwegs sind stellen wir fest, das die Unterkünfte entweder oftmals absolut fertig und heruntergekommen sind oder einen überraschend hohen Standard bieten. Vieles befindet sich in diesen Ländern im Umbruch. Die alten Wohnhäuser, Fabriken und auch Hotels, ja die gesamte Baustruktur ist kurz vor dem Zusammenbruch. Wie wir schon oft beschrieben haben fragen wir uns wie die Menschen hier mit dem kaputten Material an allem was existiert überhaupt noch überleben können. Jedoch gibt es dann plötzlich Gebäude und auch ein paar Fabriken die gerade renoviert oder neu aufgebaut werden. Wenn wir per Zufall auf so eine Unterkunft treffen, empfinden wir es als Labsal für unsere Augen und Seele.

Nie hätten wir geglaubt, dass uns überhaupt etwas an den ehemaligen kommunistischen Ländern gefallen könnte, jedoch sind es die gastfreundlichen und oft hilfsbereiten Menschen die solch eine Reise wertvoll werden lassen. Auch hier in der Ukraine wird uns an allen Ecken und Enden geholfen. Obwohl die Deutschen im zweiten Weltkrieg nicht selten Entsetzliches mit der Zivilbevölkerung anstellten sind wir überrascht, dass die Bevölkerung uns gegenüber nicht nachtragend ist. Ganz im Gegenteil sieht es für mich so aus als sei der dunkle Teil unserer Vergangenheit überwunden. Viele denen wir begegnen finden unseren Radtrip fantastisch. Sie staunen, schütteln ungläubig den Kopf und wünschen uns unaufhörlich eine gute Reise, Glück und Gesundheit. Immer wieder winken die Autofahrer, hupen und rufen aus ihren offenen Fenstern ein paar gute Wünsche.

Kaum befinden wir uns vor dem Hotel, um unsere Bikes zu beladen, begrüßt uns Sergei. Sergei ist Kapitän und arbeitet bei einer Rederei in Odessa. Vorgestern hat er mit seiner nageneuen BMW-Limousine neben unseren Rädern gestoppt und gefragt ob er uns helfen kann. Er gab uns ein paar Tipps und zeigte uns diese Unterkunft. “Also Tanja und Denis, ihr habt meine Visitenkarte, wenn ihr irgendwelche Schwierigkeiten habt scheut euch nicht mich anzurufen. Ich werde alles in meiner Macht befindliche unternehmen, um euch zu helfen”, sagt er lachend als wir auf unsere Drahtesel steigen, um einen neuen Tag entgegen zu fahren. “Vielen Dank Sergei. Ich hoffen wir müssen deine Hilfe nicht in Anspruch nehmen. Aber wenn wir Probleme haben sollten rufen wir dich an”, verspreche ich ihm. “Gut, und vergesst nicht. Zeigt keinem was ihr alles dabei habt. In der Ukraine sind schon Menschen für weniger als zehn Euro umgebracht worden”, ruft er uns warnend hinterher. “Wir passen auf”, antworten wir.

Nach zwölf Kilometern müssen wir der E58 in Richtung der Stadt Mykolaiv folgen. Wegen den kilometerlangen Meereszungen, die sich an verschiedenen Stellen in das Land fressen, sind wir gezwungen die Hauptverkehrsader zu nutzen. Der Verkehr ist wieder beunruhigend. Große Laster brausen donnernd an uns vorbei. Meist mit großem Sicherheitsabstand, jedoch gibt es den einen oder anderen LKW-Fahrer der die riesigen Reifen seines gigantischen Blechhaufens dicht an uns vorbeirumpeln lässt. Auch wenn sich neben uns ein Seitenstreifen befindet können wir wegen der manchmal steilen Abbruchkante des Asphaltes nicht ausweichen. Manchmal sind es gut und gern 30 Zentimeter. Genau in solchen Momenten beginne ich zu schwitzen. Umso öfter einer der Schwerlastzüge an uns vorbeibrüllt, umso nervöser werde ich. Ohne Zweifel reine Nervensache. “Rüber!”, brüllt Tanja weil sie einen Sattelschlepper in ihrem Rückspiegel ausgemacht hat der offensichtlich keine Anstalten macht auszuweichen. Ohne lang zu überlegen ziehe ich mein riese und müller von der Straße in den Schotter. Es rüttelt und rattert. Ich verliere nicht das Gleichgewicht. Dann geht es wieder auf die Straße. “Wie es Tanja in solchen Momenten ergeht?”, schießt mir unaufhörlich durch den Kopf. Auch sie meistert ihren Bock souverän. Nach drei Stunden ist meine gute Laune im Keller. Angstschweiß steht mir auf der Stirn. Heute hat Tanja mal wieder die besseren Nerven. “Lass dich bloß nicht ins Boxhorn jagen. Denke dir einfach dein goldenes Ei. Denke, dass du darin sicher bist, dann geschieht dir nichts”, erinnert sie mich. Obwohl es schwer ist daran zu glauben hat diese Technik einen offensichtlichen Nutzen. Denn wenn man sich sicher fühlt beginnt man nicht nervös mit dem Lenker herumzuwackeln. Man sieht sich nicht unnütz um, bekommt keine Angstattacken, oder fährt vor lauter Aufregung so knapp am Seitenstreifen, das man nur noch damit beschäftigt ist das Rad zu balancieren. Genau das kann dann dazu beitragen das der kleinste Luftzug eines sich vorbei fressenden Blechmonsters einen Radfahrer unter seine Räder zieht. “Okay!”, antworte ich und bemühe mich wieder normal zu atmen. Tatsächlich fühle ich mich besser und siehe da die Lastwägen schlagen wieder einen Bogen um uns. Wahrscheinlich Zufall. Oder nicht? Egal. Es wirkt und darauf kommt es an.

An einem der bunten Zelte, die am Straßenrand stehen, halten wir an. “Essen fkusno”, (Essen gut) bietet ein Mann die Kochkünste seiner Frau an. Wir lassen uns auf die einfachen Stühle im Schatten des Zeltes nieder und genießen die leckere Bortsch (Gemüsesuppe). Dann gibt es noch Weißbrot und einen Salat. Zum Nachtisch schenkt uns der Wirt frische Weintrauben. Nachdem unser Bäuche mit genügend Brennstoff für unsere Muskeln versorgt sind, reihen wir uns wieder in den schweren Verkehr in Richtung unserem nächsten Etappenziel der Halbinsel Krim ein.

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