Hängende Klöster und Hygiene
N 39°39’47.0’’ E 113°42’28.0’’Datum:
25.10.2015 bis 26.10.2015
Tag: 119 – 120
Land:
China
Provinz:
Shanxi
Ort:
Dongfangsheng
Breitengrad N:
39°39’47.0’’
Längengrad E:
113°42’28.0’’
Maximale Höhe:
1.288 m
Gesamthöhenmeter:
5.900 m
Sonnenaufgang:
06:44 Uhr bis 06:45 Uhr
Sonnenuntergang:
17:34 Uhr bis 17:33 Uhr
Temperatur Tag max:
7 °C
Platte Reifen gesamt:
8
Platte Vorderreifen:
2
Platte Hinterreifen:
5
Platte Anhängerreifen:
1
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
8:00 Uhr. Das Wetter hat sich verschlechtert. Es ist mit maximal 7 °C recht kalt. Vor allem der sturmähnliche Wind, der vom Heng Shang in die Stadt pfeift, lässt erahnen wie es hier im Winter sein muss. Die Straße, in der sich unsere einfache Unterkunft befindet, ist nahezu menschenleer. Staub und Schmutz wirbelt durch die Luft. Darauf hoffend, dass es am Nachmittag etwas aufklärt, bleiben wir im Zimmer und arbeiten an unseren Aufzeichnungen. Um 13:00 Uhr scheint der böige Wind weiter zugenommen zu haben. Weil wir unter anderem wegen den berühmten Hängenden Klöstern einen Umweg von 70 km gefahren sind und nicht wissen ob sich die Wetterlage weiter verschlechtert, brechen wir auf. „Ihr könnt zu Fuß gehen. Es ist nicht weit“, hat unser Gastgeber gesagt, weswegen wir uns auf den Weg zum Pass des Goldenen Drachen machen. Die Passstraße ist von Lastwägen stark befahren, so dass uns die Abgase der unzähligen Brummis zum husten bringen. Der extreme Wind faucht uns derart entgegen, dass wir unsere Körper nach vorne beugen müssen, um nicht einfach umgeblasen zu werden. „Gut, dass wir unsere Räder im Schlafzimmer unserer Gastgeber gelassen haben“, sagt Tanja. Plötzlich hält einer der wenigen PKWs neben uns. „Wollen sie zum Xuankong Si?“, fragt uns die Beifahrerin in gutem Englisch. „Shide“, (Ja) antworten wir. „Kommen sie, steigen sie ein. Wir fahren sie hin“, lädt sie uns ein. Schnell sind ein paar Utensilien vom Rücksitz geräumt und wir dem bösen Wind entwischt. „Wir kommen aus Peking, um uns den heiligen Berg und das Kloster anzusehen. Es ist ein ehrwürdiger Ort“, erzählt sie. „Ja, deswegen sind wir mit unseren Fahrrädern extra hierher gefahren“, antworte ich. „Wir möchten, dass sie gut über unser Land sprechen. Das ist der Grund warum wir sie nicht dort draußen auf dieser schrecklichen Straße laufen lassen wollen.“ Als wir am riesigen Parkplatz unterhalb der Hängenden Klöster ankommen, erklärt sie uns noch wo wir die Tickets kaufen können. „Und nehmen sie auf den Rückweg ein Taxi“, empfiehlt sie, lacht und fährt mit ihrem Mann davon.
Schon von hier ist der Anblick der im 6. Jahrhundert erbauten Hängenden Klöster, die wie Schwalbennester etwa 30 Meter über dem Grund am steilen Fels kleben, atemberaubend. Wir kaufen uns zwei Tickets, die anstatt 125 Yuan pro Person nur 25 Yuan kosten. „Das ist der Vorteil der Nachsaison. Die sind echt fair die Chinesen“, freue ich mich. Obwohl der Parkplatz die Größe mehrer Fußballfelder besitzt sind wir auf der gesamten Anlage die einzigen Besucher. Wahrscheinlich liegt es am schlechten Wetter. Wie Geier stürzen sich die Böen von den Gipfeln auf uns herab und nehmen uns regerecht den Atem. „Ich hätte meine dicke Jacke anziehen sollen“, rufe ich schlotternd vor Kälte, um das heulen des Windes zu übertrumpfen. Ein Wunder wie sich diese Holzgebäude dort oben im Fels halten können, denke ich mir und schieße trotz schlechtem Licht ein paar Fotos. Wir folgen dem sich windenden, mit Steinen gepflasterten Pfad, als wir auf zwei Verwaltungsangestellte treffen, die trotz ihrer fetten Daunenjacken am ganzen Körper zittern. „Bu! (Nein) Hier dürfen sie nicht rein“, verstehen wir. „Was? Aber das ist doch der Weg zum Kloster dort oben“, sage ich. „Wird restauriert“, meint die Dame in schlechtem Englisch. „Unglaublich, da verlangen sie 25 Yuan (3,66 €) Eintritt und jetzt dürfen wir nur auf dem Gelände herumlaufen. Hätte zu gerne die vielen Buddhastatuen gesehen die da drin sein sollen“, beschwere ich mich. „Sieht aber auch von hier unten beeindruckend aus“, entgegnet Tanja. „Du kannst auch allem etwa Gutes abgewinnen.“ „Was nützt es uns sich darüber aufzuregen. Wer weiß für was es gut ist. Vielleicht hätten die Sturmböen einen von uns beiden dort heruntergefegt?“ „Nun, das stimmt auch wieder. Bei dem Wind müsste man sich glatt anseilen um sicher über die schmalen Holzstege und Brücken zu gelangen.“ So stehen wir nun da und blicken auf das über uns in der Felswand schwebende Kloster, welches aus 40 kleinen Räumen und Pavillons besteht. Der mutigeBaumeister namens Zhang hat sie dort hinaufgezaubert. Zumindest kommt es mir so vor. Es bedurfte eines ausgeprägten Erfindergeistes und Ideenreichtums solche Gebäude unter intelligenter Nutzung der natürlichen Aushöhlungen und Vorsprünge entlang der Konturen der rauen Felswand zu befestigen, noch dazu so, dass sie 1.500 Jahre später noch immer dort oben hängen. Damit sie nicht einfach herunterfallen hat sie Zhang mit Holzstelzen, die im Fels verankert sind, abstützen lassen. Die Frage wie sie damals das ganze Material dort hinaufgebracht haben wird in der Überlieferung beantwortet: Meister Zhang ließ die Holzteile wie in einem Baukastensystem hier unten in der Schlucht vorfertigen, um sie dann über einen einfacheren Zugang auf den Gipfel schleppen zu lassen. Dann wurden die Arbeiter angewiesen sich aus der schwindelnden Höhe mit dem Material abzuseilen. Dafür knotete man Seile an ihre Hüfte und Füße. Sicherlich ein äußerst anstrengendes und gefährliches Unterfangen.
Obzwar uns heute der Zutritt ins Innere des Klosters verwehrt wurde haben wir den Besuch des einmaligen Ortes nicht bereut, denn auf unserer Tour durch China geht es nicht ausschließlich ums E-Bikefahren, sondern darum, dieses faszinierende Land mit seiner uralten Kultur und seine Bewohner auf eine ungewöhnliche Reiseart kennenzulernen.
Abends suchen wir ein Restaurant, schräg gegenüber unserer Bleibe auf. Es ist wie die meisten einfachen chinesischen Restaurants sehr ungemütlich. Außer ein paar Tische und Stühle gibt es kaum Einrichtungsgegenstände. Die Wände sind kahl und weiß, die Beleuchtung oftmals nur eine hässlich Sparbirne. Weil die Chinesen während des Essens vieles auf den Boden werfen, klebt er ein wenig. Es wird nach dem Mahl zwar immer gekehrt aber nicht gewischt. In dem unbeheiztem Raum, ähnlich wie der Warteraum eines vergammelten Provinzbahnhofs in einem deutschen Dorf vor 50 Jahren, sind wir die einzigen Gäste. Neben uns steht eine Art Terrarium, indem sich eine große Zahl von Krebsen tummeln. Sie knabbern an verwelkten, schimmligen Salatblättern. Auch eine kleine Schildkröte fristet dort ihr erbärmliches Leben bis sie in Gesellschaft einiger ihrer Krebskollegen für einen der wenigen Gäste im Wok landet. In einem funktionstüchtigen Kühlschrank sind ein paar Speisen, Hühnchen, Schweins- und Hühnerfüße, ein armseliger Fisch, Salat, Bohnen, Tofu usw. auf Tellern ausgestellt. Grundsätzlich alles unter Plastikfolien verpackt. Das scheiß Plastik hat gesamt China in einem kaum zu beschreibenden Ausmaß verseucht. Einfach alles ist in Plastik verpackt. Zu Millionen besser gesagt Milliarden. Nahezu jede Nahrung und jeder Gegenstand. Selbst Schalenobst wie Bananen. Einfach absolut alles. Keine Ahnung wie das unsere Mutter Erde aushalten soll oder ob die Menschheit diesen abnormalen weltweiten Plastikwahnsinn überleben wird. Abgesehen davon denkt man anscheinend kaum oder gar nicht über die Gefahr von Weichmachern auf der Basis von Phthalaten nach die auch in Lebensmittelverpackungen Verwendung finden und unter anderem durch simple Berührung oder kontaminierter Nahrung in unseren Blutkreislauf gelangen. In der EU werden diese chemischen Zusatzstoffe als fortpflanzungsgefährdend eingestuft, unter anderem stehen sie unter dem Verdacht Diabetes auszulösen und andere gesundheitliche Auswirkungen auf uns Menschen zu haben.
Da Plastik Jahrhunderte braucht um sich vollends zu zersetzen, findet es sich in unserer gesamten Nahrungsmittelkette wieder. Selbst in Fischen ist das Plastik, weil laut Aussagen einiger Forscher jährlich zwischen 5 und 13 Millionen Tonnen Plastik in den Weltmehren landen und die armen Wirbeltiere keine andere Chance mehr besitzen als es täglich zu fressen. Somit wird es uns wieder in Form von Fisch oder anderen Lebensmittel auf den Tellern serviert. Der Plastikwahn führt sogar soweit, dass in nahezu jedem Restaurant das Geschirr in Plastik verpackt wird. Es ist ein richtiger Industriezweig geworden Porzellangeschirr in das durchsichtige Zeug einzuwickeln und an jedes noch so kleine Restaurant zu liefern. Nach dem Gebrauch wird es so schmutzig wie es ist in Plastikwannen geschmissen und von einem Service wieder abgeholt. Wahrscheinlich wird es dann gewaschen um wieder in Plastik verpackt zu werden. Das haben wir aber noch nicht genau herausgefunden. Der Irrsinn ist, das jeder Kunde ein paar Yuan für das offensichtlich steril abgepackte Gedeck bezahlen muss, und das auch so hinnimmt. Eine eigenartige Modeerscheinung, da es in vielen Restaurants alles andere als sauber zugeht. Die Hygiene lässt oftmals zu wünschen übrig. Neulich hat eine Kellnerin beim Servieren unaufhörlich gehustet. Die Hand vor dem Mund halten war ihr sichtlich fremd. Sie lächelte mich an, hustete dabei direkt aufs Essen und stellte es auf den Tisch. Gut das wir unser in Plastik steril verpacktes Gedeckt auspacken konnten. Somit gab es zumindest nicht noch auf den Tellern und Tassen einen zusätzlichen Bakterienstamm. Neulich waren wir in einem Restaurant wo uns der Koch unaufhörlich beobachtet, immer wieder einige Fotos von uns schoss und sich in der Zwischenzeit ungeniert grob in der Nase bohrte. Manchmal wird auch kräftig genießt, das was dann eventuell auf der Hand landet wird einfach an der Hose abgewischt. Ich möchte natürlich nicht den Eindruck erwecken die Chinesen seien schmutzig aber nach unseren bisherigen Beobachtungen habe ich den Eindruck als hat sich bis heute die Wichtigkeit von Hygiene noch nicht wirklich herumgesprochen. Aber wieder zurück zu unserem kleinen Restaurant. Die verschüchterte Bedienung, die Tochter der Köchin und des Kochs, deutet stolz auf ein paar in Plastik eingewickelte Gerichte. „Die Bohnen sehen aber schimmlig aus“, stellt Tanja fest. „Dann bestellen wir eben etwas anderes“, sage ich. Weil Tanja sich zum größten Teil vegetarisch ernährt und ich nur in wenigen Fällen Geflügel esse, schenken wir den Krebsen und der Schildkröte in dem Glaskasten neben uns noch ein paar Stunden oder Tage Lebenszeit. Wenngleich ich mir nicht sicher bin ob sie das unter diesen Bedingungen überhaupt möchten. „Ging bu yao fang weijing.“ (Bitte ohne Geschmacksverstärker) sagen wir und zeigen zur Sicherheit auf den wichtigen Satz in unserem Sprachführer. Leider hauen die Köche in diesem Land in fast jedes Essen Glutamat auf das ich grundsätzlich mit Magenverstimmung und Tanja mit geschwollenem Gesicht reagiert. Mei you“, (Nicht haben, frei übersetzt, lassen wir weg) antworten die Köche immer voller Verständnis und halten sich in der Regel auch daran nicht das weiße Pulver in den Wok zu streuen.
Es dauet nicht lange und wir bekommen Tofu in einer Art Lauchgemüse, Tomaten und Eier in scharfer Soße und, wer hätte das gedacht, Bohnen. „Bohnen?“, fragt Tanja auf den Teller deutend. „Wir haben die schlechten Enden abgeschnitten“, erklärt die Tochter des Hauses lächelnd. Wie fast immer schmeckt das Essen hervorragend. Auch die Bohnen besitzen keinen schimmligen Geschmack. „Die Chinesen können einfach kochen“, sage ich, mir zufrieden den Bauch reibend…
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