Gruseliger Keller und Tollwut
N 45°21'58.8'' E 038°12'48.6''Auch dieser Tag begrüßt uns mit einem diesigen und bewölkten Morgen. Jegliche Farbe scheint aus der Erde und von allem was es gibt entzogen worden zu sein. Weltuntergangsstimmung. Erst ist es völlig windstill, doch wie soll es anders sein, bläst es uns nach wenigen Kilometern wieder ins Gesicht. Seltsam das der Radfahrer meist gegen den Wind strampeln muss. Ob ich mir das nur einbilde? Wie auch immer, das mit dem Gegenwind muss ein Phänomen sein. Manchmal kommt der Wind aus dem Osten. Klar, dass sich die Straße genau zu diesem Zeitpunkt in Richtung Osten windet. Dann bläst es aus dem Norden. Auch klar, genau an diesem Tag führt der Pechstreifen nach Norden. Es ist gelinde gesagt zum Haare raufen. Am besten man denkt nicht zuviel darüber nach und wenn es wirklich mal vorkommt vom göttlichen Wind angeschoben zu werden, dann heißt die Devise sich darüber freuen und den Augenblick genießen.
Mit Sicherheit können wir uns wegen den bisher noch wenig zurückgelegten Kilometern in Russland kein Urteil erlauben. Trotzdem stellen wir fest, das seit der Grenze, zumindest die größeren Straßen in einen fantastischen Zustand sind. Auch führen sie auf dieser Strecke um die Ortschaften herum. Somit werden die Bewohner nicht unnötig von dem Schwerlastverkehr belästig. Russland ist zweifelsohne entschieden reicher als Rumänien, Moldawien, und die Ukraine. Die Häuser sind oft in einem besseren Zustand und manchmal bunt, meist blau angemalt. Auch die Straßenränder sind nicht so verschmutzt. Öffentliche Anlagen werden gepflegt. Überall herrscht Betriebsamkeit. Die Rasen werden gemäht und sauber gehalten. Ob das etwas mit der Region hier zu tun hat? Wir werden sehen wie und ob sich die Situation im Laufe unserer Reise ändert.
Nach 40 Kilometer halten wir an einem Parkplatz, lehnen unsere Räder gegen ein Verkehrsschild und nutzen wie so oft meinen Anhänger als Tisch. Wir essen Eier mit Majonäse und Brot. Zum Nachtisch stärken wir uns mit einer fetten fünf Kilogramm schweren Wassermelone die uns die Inhaber der gestrigen Gastiniza geschenkt haben. Dann gibt es noch ein paar Plätzchen und leckeren Tee von Sonnentor. 30 Minuten später geht es gestärkt weiter gegen den Wind. Was sonst.
Überrascht sind wir auch das uns die Menschen hier noch offener entgegenkommen als in den anderen Ländern des Ostens. Immer wieder kommt es vor das ein Autofahrer seine Geschwindigkeit drosselt und neben uns herfahrend nach dem Woher und Wohin fragt. Das haben wir bisher kaum erlebt und hier in Russland ist es häufig. Die Begeisterung der Russen für unsere Reise ist definitiv außergewöhnlich. “Kommt mit zu mir. Ich lade euch heute ein bei uns zu übernachten!”, ruft ein weiterer Autofahrer uns freundlich entgegen. Die Hupkonzerte der uns überholenden und entgegenkommenden Lastwägen und Autos haben auch stark zugenommen. In einer Stadt werden wir von einem großen Schlitten regelrecht gestoppt. Zwei hochrangige Offiziere steigen aus und fragen uns freundlich nach dem Sinn der Reise und wie es und in ihrem Land gefällt. “Sehr gut”, antworten wir worauf sie sich freuen und wieder davon fahren. Auch die Polizei checkt uns bald in jeder Ortschaft aus. Sie fahren eine Weile hinter uns her und biegen dann irgendwo ab. Manchmal überholen sie uns auch ganz langsam, sehen zu uns hinüber und brausen wieder davon. Keiner von ihnen hat bisher angehalten. Finde ich auch gut so, denn vor der Russischen Polizei habe ich wegen den vielen Horrorstorys noch immer einen Heiden Respekt.
In der Stadt Slavyansk-na-Kubani suchen wir weder einmal nach einer Unterkunft. Ein Bettler spricht uns an und lässt uns nicht mehr gehen. Hartnäckig verfolgt er uns und möchte Geld. Tanja schenkt ihm ein Kreuz vom Kloster Marta-si-Maria. Er steckt es weg und möchte weiterhin Geld. Trinken, sagt er unter anderem und klopft sich mit dem Finger gegen die Kehle. Enttäuscht hören wir dass die Gastiniza ausgebucht ist und fahren zur nächsten. “3.500- Rubel”; sagt die Frau nachdem ich nach dem Preis gefragt habe. “Was? Das sind ja 100,- ? pro Nacht”, meine ich wirklich entsetzt und erkläre ihr das wir bei solchen Preisen China nie erreichen können. Das Mädchen sieht mich nachdenklich an und telefoniert mit ihrer Chefin. Dann zeigt sie mir ein Zimmer in dem sich acht Betten befinden. Dafür Toilette und Dusche auf dem Gang. “Was kostet das?” “2.000 Rubel”, (ca.60,- ?) “Danke. Ist noch immer viel zu teuer”, lehne ich ab. Müde steigen wir wieder in die Sättel, um zur nächsten Stadt zu strampeln. Es ist schon 17:30 Uhr als wir nach knapp 85 Kilometern Poltavskaya erreichen.
“Ja wir haben ein Zimmer frei”, sagt die Frau. “Oh Gott sei Dank”, antworte ich erleichtert. “Was kostet es denn?”, möchte ich wissen, worauf mir die Dame ein Russisches Schreiben vor die Nase hält. Das einzige was ich entziffern kann sind die Zahlen zwischen 400,- und 3.500- Rubel. “Äh ich verstehe nicht. Können sie mir den Preis für ein ganz normales Zimmer auf einen Zettel schreiben?”, frage ich höflich worauf sie mir ein Anmeldeformular auf den Tisch legt. Entweder stellt die Frau sich dumm oder sie ist es. Auf jeden Fall komme ich kein Stückchen weiter. Ich bin müde und kaputt. Kann einfach nicht mehr und verspüre keine Lust mich mit diesem Menschen zu streiten. “Mein Gott Ludmilla. Jetzt stell dich doch nicht so dämlich an. Der Herr möchte einfach nur den Preis für ein Doppelzimmer wissen. Er kommt aus Deutschland und spricht unsere Sprache nicht gut. Das hast du doch mitbekommen. Also schreib den Preis endlich auf einen Zettel”, hilft mir eine Frau die neben mir am Tresen steht. Nickend bedanke ich mich bei ihr. Dann, nach der Besichtigung des einfachen und heruntergekommenen Zimmers, frage ich ob wir irgendwo unsere Räder einsperren können. “Sie dürfen sie im Hof abstellen.” “Nein bitte nicht. Es sind keine Motorräder sondern Fahrräder die kann man leicht stehlen. Zapzerabsen. Verstehen sie?” Die Dame will wieder nicht verstehen. Nachdem ich mehrfach das Wort abschließen sage zeigt sie mir eine Tür die zu einem Keller führt. “Ah das ist gut. Wird der Keller auch abgesperrt?”, will ich wissen, doch kaum hatte ich meinen Blick in Richtung Kellertür gewand ist die aufgetakelte Empfangsdame davon geeilt. Da mir nichts anderes übrig bleibt sehe ich mir den Keller an. Eine Treppe führt von dem einsamen Hinterhof nach unten in ein feuchtes Verließ. Große dunkle Räume gähnen mich an. Ganz hinten, in etwa 20 Meter Entfernung, sehe ich ein Licht schimmern. Ich reiße mich am Riemen und laufe durch die finsteren, unheimlich wirkenden Gänge immer tiefer in das unterirdische Gemäuer. Am Ende entdecke ich einen mit einer Glühbirne beleuchteten Raum. Dreck und Unrat überall. Es riecht feucht und nach Essensresten. Auf dem Boden liegt eine angefressene Matratze. In der Ecke krächzt leise eine Art Radio vor sich hin. Noch weiter hinten höre ich schlimmes Husten. “Und dort unten sollen unsere Räder sicher sein? Na die hat sie doch nicht mehr alle”, fluche ich leise und schaue das ich mich so schnell als möglich wieder nach draußen mache. Wieder an der frischen Luft atme ich erst mal auf. Dann laufe ich zu Tanja. “Ich kann nicht mehr. Das Zimmer ist in Ordnung. Der Preis passt auch. Doch unsere Räder sollen in ein Rattenloch aus dem es auch noch beängstigend hustet. Also wenn sie dort nicht von einem Dieb geklaut werden dann vielleicht von dem armen Wesen was dort unten hausen muss. Versuch du doch bitte mal dein Glück. Die Alte hinterm Tresen treibt mich einfach zu Wahnsinn”, sage ich entkräftet. “Kriege ich schon hin”, meint Tanja zuversichtlich und geht in die Gastiniza in der mindestens 200 Menschen nächtigen können. Nur Minuten später kommt sie lächelnd zurück. Unsere Räder bekommen ein eigenes Zimmer im Erdgeschoß. Hier ist der Schlüssel”, verblüfft sie mich. “Na wie hast du denn das angestellt?”, möchte ich wissen. “Ich erzählte ihr, dass wir mit unseren Fahrrädern von Deutschland bis hierher gekommen sind und noch bis Burma wollen. Habe ihr gesagt, dass unsere Rösser äußerst wichtig für uns sind. Dann kam eine andere Frau aus einem Hinterzimmer. Die hatte etwas zu sagen und arrangierte das mit dem Raum.” “Wunderbar. Einfach fantastisch”, freue ich mich und bin erleichtert heute nicht noch mal in eine andere Stadt fahren zu müssen.
Während ich dann wie jeden Tag meine Kurzaufzeichnungen über den Tag niederschreibe und die Bilder in den Laptop spiele, geht Tanja in einem nahen Magazin einkaufen. Aufgeregt kommt sie zurück. “Also stell dir vor was ich gerade gesehen habe. Ich bin durch den Park gelaufen und da lag ein Hund. Er hatte Schaum vor dem Maul und unter Krämpfen gelitten. Ich bin mir sicher das er an Tollwut stirbt.” “Du bist doch hoffentlich nicht zu nah an ihn ran gegangen?”, erschrecke ich. “Nein, aber der arme Kerl kann einem schon Leid tun. Also wenn die hier in der Stadt Tollwut haben müssen wir uns vor den wilden Hunden, denen wir ständig begegnen, ein wenig in Acht nehmen.”