Gen Süden
N 68°22’28.7’’ E 017°15’10.6’’Datum:
11.11.2020 bis 13.11.2020
Tag: 101 – 103
Land:
Norwegen
Ort:
Ofotfjord’
Tageskilometer:
185 km
Gesamtkilometer:
7726 km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Brückenüberquerungen:
12
Tunneldurchfahrten:
3
Sonnenaufgang:
08:45 Uhr bis 08:54 Uhr
Sonnenuntergang:
14:24 Uhr bis 14:15 Uhr
Temperatur Tag max:
4° bis 7°
Temperatur Nacht min:
2° bis 3°
Wind
5 km/h
Aufbruchszeit:
11:00 Uhr
Ankunftszeit:
16:45
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
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Wegen der absoluten Windstille am Fuße der Gisund-Brücke schlafen wir seit Wochen zum ersten Mal wieder richtig durch. Kein bedrohliches Rauschen, helles beunruhigendes Zischen, tiefes Sausen und gefährliches Brausen waren in der Nacht zu vernehmen. Die Terra nicht von heftigen Böen und Luftgewalten dazu gezwungen worden, sich unaufhörlich zu ducken, beugen und hin und her zu wiegen. Die angenehme Ruhe ist ein Zustand, den wir in dieser Form nicht mehr kennen. „Lass uns noch eine Nacht hierbleiben und die idyllische Stille und das sanfte Geplätscher des Fjords genießen“, schlage ich vor. „Wie du willst mein lieber Denis.“ „Es muss nicht immer nach mir gehen. Ich hoffe, du empfindest diesen Ort auch als Wohltat für die Psyche?“ „Na klar. Obwohl wir hier nicht weit weg von der Verkehrsader und Zivilisation sind, empfinde ich es durchaus friedlich. Verblüffend, wie groß der Unterschied zwischen der rauen, ungebändigten Natur und einem geschützten Plätzchen ist. Ich bleibe auch gerne noch eine Nacht.“
Am nächsten Morgen verlassen wir Senja endgültig in südlicher Richtung. Wir folgen der Fv 84 und der E 6. Auf dem Festland liegt entschieden mehr Schnee als auf der Insel, denn die Straßen sind trotz der regelmäßig fahrenden Streudienste teils mit Eis und Schnee überzogen. Da wir noch nicht viel Erfahrung mit glatten Straßen besitzen, fahren wir besonders umsichtig und bedacht, während uns die Norweger mit großer Geschwindigkeit überholen. Die Sonne wirft ein paar ihrer Strahlen über die Horizontlinie und beglückt die Welt mit ihrem lebensspendenden Licht. Ein imposanter schneebedeckter Riese türmt sich vor uns auf. Seine linke und rechte Flanke wird von Sonnenstrahlen getroffen. Es wirkt so, als wären die hellen, im Schnee aufleuchtenden Flächen seine Augen. Dann zieht eine Wolkenwand vor das Sternenlicht, worauf sich die Augen schließen. Es geht vorbei an Fjorden. Ihre spiegelglatten Wasseroberflächen reflektieren je nach Wolkenstimmung die Farben Lila, Blassrosa, manchmal ein dunkles oder schwarzes Blau. Einige der Seen und Fjorde sind mit einer Eisschicht überzogen. Schneebedeckte Schollen sind in Eis eingeklemmt oder treiben auf der trägen Wasserfläche dahin. Die Formen und Muster des Eises sind von Wind, Schnee und Regen in bizarren, schön anzusehenden Mustern geformt. Immer wieder halten wir an, um diese teils grotesken, zugleich wunderschönen Eisgestalten zu bewundern. Egal wo wir uns bewegen, ob am Nordkap, auf den Inseln, dem Fest- und Hochland, im Sommer sowie im Winter, Norwegen hält uns in Atem. Ein Abenteuer der Sinne, der Farben, der Rauheit, der Emotionen und Gemütsbewegungen. Um 14:00 ziehen sich magentafarbene Streifen durch dunkle Wolken, die sich in einem perfekten Abbild auf dem glasklaren Wasser eines schmalen Sees spiegeln. Fischerhütten kauern an seinem Ufer. Ich knie mit meiner Kamera auf einem Stein, lasse mich in das Bild hineinziehen und werde ein Bestandteil dieses Augenblicks. Ein Gefühl des Glücks durchströmt mich, denn mir ist bewusst, dass solche Empfindungen unschätzbar wertvoll sind. Um 15:00 Uhr, nachdem die Sonne sich schon lange auf die andere Seite unserer Mutter Erde aufgemacht hat, erglüht der Himmel im letzten Rot. Wir befinden uns in der Stadt Narvik mit seinen knapp 27.000 Einwohnern. Hier finden wir endlich eine LPG-Tankstelle, um Gas zu tanken, Wasser und gut 200 Liter Diesel zu bunkern. Weil ein großer Lastzug die Zapfsäule besetzt, nutzen wir die Wartezeit, um zum nahen Ufer des Ofotfjordes zu gehen. Gefrorene Seegrasbüschel, betupft mit einer Brise Schnee verstreuen sich über das Ufer. Der Fjord ist von bis zu 1.700 Meter hohen schneebedeckten Bergen umgeben, die bis zu einer Höhe von etwa 500 Meter mit Birkenwäldern bewachsen sind, die sich. Im letzten Licht des Tages werfen sie geisterhafte lange Schatten auf friedlich wirkende Wasserflächen. „Welch ein geschichtsträchtiger Ort“, sage ich. „Warum? Was ist hier geschehen?“, fragt Tanja. „Die Stadt Narvik wurde im Frühjahr 1940 von deutschen Bombern nahezu vollständig zerstört und in der Bucht vor uns fand eine schreckliche Seeschlacht statt, bei der zehn deutsche sowie zwei britische Zerstörer versenkt wurden. Sie liegen irgendwo dort draußen auf dem Grund und sind heute entweder als Kriegsgräber deklariert oder beliebte Tauchziele.“ „Welch ein Glück wir haben so einen schrecklichen, sinnlosen Krieg nicht erleben zu müssen“, antwortet Tanja. „Ich hoffe, dass das so bleibt und wir weiterhin diesen Planeten auf diese Weise bereisen dürfen. In Europa gab es Jahrtausende lang blutige, grausame kriegerische Auseinandersetzungen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, also erst seit 1946, dürfen die meisten Europäer in Frieden leben.“ „Die meisten Europäer?“ „Leider nicht alle, wenn wir an die Jugoslawienkriege denken, die von 1991 bis 2001 geführt wurden. Nach Schätzungen starben aufgrund dieser Kriege über 100.000 Menschen.“ „Einfach furchtbar. Ich bin froh, dass heute ein Krieg innerhalb der EU unvorstellbar geworden ist und dass die EU den Frieden sichert.“ „Da hast du recht. Lass uns hoffen, dass die Menschen vernünftig bleiben und uns nicht durch radikale Ansichten und schwachsinnige Verschwörungstheorien in neue Konflikte treiben.“ „Lass uns wieder hoch zur Terra gehen. Die Zapfsäule ist mittlerweile bestimmt wieder frei“, wechselt Tanja das bedrückende Thema und holt uns wieder in die angenehm friedliche, fantastisch anzuschauende Abendstimmung zurück.
Es ist bereits dunkel, als wir 15 Kilometer östlich von Narvik ein hübsches Plätzchen finden. Nur ein paar Meter weiter überspannt die 711 Meter lange Skjomen-Brücke einen Nebenarm des ansonsten 78 Kilometer langen und 553 Meter breiten Ofotfjord. Obwohl wir uns hier auf 68° 25′ nördlicher Breite befinden, bleibt der Fjord auch im Winter eisfrei und die Temperaturen fallen im kältesten Monat Januar meist nicht unter minus 4,5 °C. Mit ein paar Büchsen dänischen Bier lassen wir den langen, anstrengenden Tag ausklingen. Nachts um 1:00 Uhr wache ich auf, sehe aus dem Fenster und sehe, wie sich eine wunderschöne Aurora über die Brücke spannt. Wieder springe ich in meine Kleider, um mich unter das kosmische Licht zu stellen, um sein Energieregen in vollen Zügen zu inhalieren.