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Rumänien/Tulcea

Geld, Zigaretten und in der Hochburg der Diebe?

N 45°10'47.3'' E 028°48'12.1''

Weil wir unseren Mägen nicht schon am Morgen eine Pizza antun wollen brechen wir ohne Frühstück auf. Wir entscheiden uns an einem schattigen Plätzchen ein leckeres Müsli einzuverleiben. Kaum sitzen wir im Sattel kurbeln wir unser Gewicht eine der beschriebenen Runzeln nach oben. Unser Kreislauf kommt augenblicklich auf Hochtouren. Oben angekommen werden wir durch einen sagenhaften Rundblick über eine liebliche und sogleich beeindruckende Landschaft belohnt. Rechts von uns erstreckt sich das Schwarze Meer welches hier an der einzigen Felsküste Rumäniens leckt. Das Dolosman Cape ist bis zu 29 Meter hoch und 2,5 Kilometer lang. Hier finden sich die Überreste einer uralten griechischen Ansiedlung. Wir halten kurz inne und genießen die Einsamkeit und die Großartigkeit der lang gestreckten Hügelzüge die sich wie ein seidenes Tuch über das Land breiten. Zu unserer Linken ziehen sich Sonnenblumenfelder unterbrochen von rechteckigen Flecken bereits abgeernteter Äcker. Ein leichter Wind bläst uns in den Rücken. Die Sonne brennt vom Himmel und verspricht einen weiteren heißen Tag. Nachdem Klimax der Erdwölbung lassen wir unsere Drahtgestelle nach unten rauschen, diesmal ohne Gegenwind. “Schau mal, da ist doch ein geeigneter Ort für unser Frühstück!”, ruft Tanja. Wir lehnen unsere Räder an einen Baum, setzen uns in seinen Schatten und genießen unser Müsli. Pferde- und Eselkarren zuckeln vorbei. Ihre Fahrer winken uns freundlich zu. Ein müder Gaul trabt vorüber. Diesmal zieht er einen mit einer Sintifamilie besetzten Wagen. Sie unterscheiden sich oftmals durch ihr anderes Aussehen von den rumänischen Insassen. Unfreundlich blicken sie uns an. “Amerikanski”, sagt die junge Mutter zu ihren Kindern. Sie gibt ihrem Ältesten Sohn den Befehl vom fahrenden Wagen zu springen. Der etwa Achtjährige kommt zu uns gelaufen und möchte Geld. Wir versuchen ihn zu ignorieren. Er steht verlegen herum während der Pferdewagen sich weiter entfernt. “Komm wieder her!”, erschallt der erneute Befehl der Mutter und der Junge nimmt seine Beine in die Hand und spurtet davon.

Die Straße wird immer schlechter. Ein Loch reiht sich ans andere. Selbst den Berg hinunter können wir nicht schneller als fünf bis sechs Stundenkilometer fahren. Wir müssen hoch konzentriert sein um die Achsen unserer Hänger und die Rahmen unserer Räder nicht zu gefährden. Sehr langsam zuckeln wir unter großer Anstrengung voran. Neben uns taucht eine ganze Schar Störche auf die auf einer Hügelkuppe im Grünen nach etwas Fressbarem suchen. Als ich mein Stativ aufstelle, um sie zu fotografieren, fliegen sie hundert Meter weiter, um sich erneut niederzulassen. Wir strampeln im Schneckentempo, hat nichts mit meinem Kosenamen zu tun, einer weiteren Bergfalte hoch. Unsere Beinmuskeln sind bis aufs Äußerste belastet. Dann halten wir wieder an. Ich baue das Stativ vor uns auf, um uns beide auf den Räder zu fotografieren. Als ich alles eingerichtet habe drücke ich auf den Selbstauslöser, sprinte zum Rad, welches Tanja für mich gehalten hat, schwinge mich in den Sattel und wir rauschen auf die Kamera zu. “Hoffe es ist was geworden”, sage ich, steige ab, gebe Tanja mein riese und müller und laufe zur Kamera zurück. Das Ergebnis ist eher witzig als enttäuschend. Zeigt es doch wie jemand in weiter Entfernung gerade sein Bein hebt, um in den Sattel zu steigen. “Zehn Sekunden reichen mit dem Selbstauslöser nicht aus, um eine brauchbare Aufnahme zu produzieren”, meine ich nach der Aufwendigen und Kraftraubenden Aktion enttäuscht.

Auf einer Hügelkuppe neben uns thront in malerischer Landschaft eine Burgruine. Dicke Wolken ziehen sich über unseren Köpfen zusammen und versprechen Regen. Tatsächlich dauert es nicht lange und die Schleusen öffnen sich. Wir ziehen unsere Regenjacken über und erleben die erste Taufe dieser Etappe. Sofort kühlt es auf angenehme Temperaturen ab. Wegen der jetzt spiegelglatten Fahrbahn fahren wir bedacht ins nächste Tal. Vorbei geht es an Wasserarmen die zum großen Teil mit Schilf zugewachsen sind. Ein alter Fischkutter zwängt sich durch das Dickicht. Die Straße ist noch immer in einem fatalen Zustand. Wir sind alleine unterwegs. Kein Auto überholt uns. Ab und an verirrt sich ein einzelner Pferdekarren in diese Gegend. Plötzlich verziehen sich die Gewitterwolken. Die Sonne dringt durch, verbrennt die restlichen Wolkengebilde und lässt die Straße dampfen. Es dauert nicht lange und jegliche Feuchtigkeit ist eine Erinnerung. Staub weht über die Felder und Hitze bestimmt den Tag. Wir erreichen den kleinen Ort Sarichioi. Auch hier sind die meisten Einwohner russischer Abstammung. Die Stimmung ist eigenartig. Für uns nicht einzuordnen. Im Zentrum halten wir neben einer gut besuchten Bar. Kinder bestaunen erst zurückhaltend unsere Räder. Wir lehnen sie an ein 11/2 Meter hohes Werbebanner und wollen uns dahinter auf eine Bank setzen. “Ich weiß nicht. Habe kein gutes Gefühl”, sagt Tanja. “Wie meinst du das? Ist doch alles in Ordnung”, entgegne ich. “Wir können von hier unsere Räder nicht sehen. Das gefällt mir nicht”, erklärt sie. Die Kinder bestaunen noch immer die Bikes. Sie kehren ihre Rücken zu uns. Auch ich fühle mich plötzlich nicht mehr wohl. Staub weht über die Straße. Müll an allen Ecken und Enden. Laute Musik dröhnt aus der Bar. Eine Familie sitzt hinter uns. Heute am Sonntag bekommen die Kinder Eis am Stil. Sie sehen uns verstohlen an, blicken wieder weg. Aus der kleinen Schar die unsere riese und müller betrachten lösen sich zwei etwa Zehnjährige. “Money? Give me Money!”, fordern sie erst zurückhaltend dann aber dringlicher. Wir reagieren nicht. “Money? Give me Money?”, wiederholen sie jetzt lauter und öfter. Keiner der Erwachsenen schreitet ein. Sie sehen alle zu. Unüblich für Rumänien. Wir reagieren nicht und stürzen uns jetzt, in Eile hier fort zu kommen, eine Flasche Mineralwasser in die durstigen Kehlen. “Lass uns gehen”, sagt Tanja. Wir stehen auf, nehmen unsere Räder vom Zaun. “Money? Give me Money!”, rufen die Kinder. Wir schieben die Räder an. Einer der Kurzen kommt und tritt nach meinen Rad. “Lass das!”, brülle ich ihn an. Er erschrickt. “Fuck you!”, rufen die Jungs. Wir treten in die Pedale, um unsere Rast hundert Meter weiter, an einem anderen Magazin, fortzusetzen. Kaum angehalten sehen wir die Kids in unsere Richtung schlendern. Wir haben genug und verlassen diesen Bereich der Ortschaft. Am Ende des Dorfes finden wir ein weiteres Magazin. Jugendliche lungern davor herum. Sie machen einen harmlosen Eindruck. Ich gehe in den Laden, kaufe mir ein Eis. Als ich herauskomme wird Tanja von einem betrunkenen Rumänen angesprochen. Im Bruchstück-Englisch sagt er: “Rumänien gut oder Rumänien sehr gut?” “Rumänien sehr gut”, antwortet Tanja worauf er lacht. Angespornt beginnt er seine Unterhaltung. “Ich betrunken”, meint er, schwingt mit den Armen große Bögen durch die Luft und deutet in Richtung Küste. “Rumänien gut oder Rumänien sehr gut?”, fragt er auch mich. “Rumänien sehr gut”, antworte ich, schlinge mein Eis am Stil runter, um hier so schnell wie nur möglich fort zu kommen. Ein Auto rast vorbei. Laute Musik hämmert aus dem Fahrgastraum zu uns. Betrunkene Jugendliche sitzen grölend und kreischend darin. Als sie uns entdeckt haben wird ihr Gejohle für Sekunden Ohrenbetäubend, dann ist der klappernde Dacia vorbeigeschossen. Wir lassen den seltsamen Ort hinter uns. Kaum befinden wir uns wieder auf der kaputten Landstraße zwitschern die Vögel und zirpen die Grillen. “Mein Gott, was war denn das für ein Ort?”, frage ich und bin erleichtert wieder unterwegs zu sein.

An der nächsten endlosen Steigung bekommt Tanja starke Knieschmerzen. Sie ist im Regelfall eher ein Mensch der über Schmerzen nicht spricht. Diesmal aber sagt sie: “Ich kann bald nicht mehr Denis. Mein Knie blockiert derart, dass ich nicht weiß wie lange es noch durchhalten wird.” “Schaffst du es noch bis Tulcea?”, frage ich besorgt. “Ich hoffe”, antwortet sie. Da es noch ca. 30 Kilometer bis zu der Stadt am Delta sind sehe ich mich sicherheitshalber nach einem Campplatz um. Doch wegen der seltsamen Erlebnisse der letzten Stunden ist es nicht unbedingt ratsam hier in der Pampa wild zu campen.

Wir strampeln und strampeln diese nicht enden wollende Steigung hoch. Tanja bleibt immer mehr zurück. Ich halte immer wieder an, um sie nachkommen zu lassen. Dann bleibe ich für eine Zeit hinter ihr, um sie nicht zu demoralisieren. “Wie geht’s?”, frage ich ab und an. “Geht schon”, antwortet sie die Zähne zusammenbeißend. Weil ich auf der Etappe eins eine ähnliche Knieblockade hatte, glaube ich zu wissen wie es ihr jetzt ergeht. Ich bewundere sie für ihren immensen Durchhaltewillen und hoffe sehr, dass wir die Spitze des Höhenzuges bald erreicht haben. “Du hast es gleich geschafft. Es sind nur noch zehn Kilometer”, motiviere ich sie. Dann geht es bergab. Ich warte auf die nächste Steigung doch sie kommt nicht. Wir rauschen ohne Gegenwind nach unten. Erst einen Kilometer, dann zwei, dann drei. Insgesamt geht es ca. sieben Kilometer bis zum Rand der Stadt Tulcea nach unten. Welch ein Geschenk genau zum richtigen Zeitpunkt. Ein Schild zeigt zur Ortsmitte. Steil bergauf. Ich biege nach rechts da es da weiter runter geht. In einem Industriegebiet stoppen wir bei einer Affenhitze unsere Bikes. Wir entdecken zwei Bänke an einem einsamen Magazin. Dort setzen wir uns hin, trinken eine Cola und beraten die nächsten Schritte. “Du könntest ein Taxi nehmen und erkunden wo es ein Hotel gibt. In der Zwischenzeit passe ich auf die Räder auf. Ich glaube vorerst kann ich nicht weiter”, meint Tanja. “Hm, ist ein guter Vorschlag”, antworte ich müde aber noch immer fitt. Nach 30 Minuten gehe ich los, um in einer nahen Drei-Sterne-Pension nach einem Zimmer zu fragen. Der ganze Laden sieht wie eine einzige Baustelle aus. Überall sind die Wände aufgerissen, Baumaterial liegt herum und kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Ich steige die Treppen hoch und sehe durch die geschlossenen Scheiben der Absteige. Kein Mensch. Als ich die fragwürdige Unterkunft verlassen möchte treffe ich auf den Tankwart der Tankstelle nebenan. “Mein Boss ist oben. Warten sie ich rufe ihn an”; sagt er freundlich und wegen seiner fehlenden Zähne etwas lispelnd. Wieder erklimme ich die Treppe und werde von einem Mann mit einem gewaltigen Kugelbauch empfangen. Er ist um die vierzig, trägt eine Goldkette um den Hals die etwa so fett wie sein Bauch ist. Mit seinen monströsen Armen zeigt er auf seine Drei-Sterne-Pension. Ein fetter Goldreif rutsch vom Handgelenk nach hinten und bleibt abrupt an seinem schweren Unterarmen hängen. Langsam folge ich der Gestalt durch sein Anwesen. Durch einen schlauchähnlichen Gang geht es an den Kammern vorbei die er für 20,- Euro pro Nacht vermietet. In nahezu allen Zimmern ist der Teppichboden herausgerissen und liegt in einer Rolle auf dem Bett. Wir halten vor einem Loch direkt unter dem Dach. Mit Zeichensprache zeigt er hinein. Ich verstehe etwas von einem Kühlschrank und Bad. Tatsächlich gibt es ein Bad. Ich bücke mich, um durch den niedrigen Eingang zu gelangen. “Oh Graus”, flüstere ich für ihn unhörbar. “Ich spreche mit meiner Frau”, sage ich zu ihm. Er versteht mich falsch und zeigt mir sein Luxus Appartement. Es ist etwa sechs Quadratmeter groß, ebenfalls völlig verschmutzt und ebenfalls direkt unterm Dach. Eilig verlasse ich die Schwitzburg und hoffe innig für meine Tanja und mich eine Unterkunft zu finden in der wir uns ausruhen können.

“Fehlanzeige”, sage ich zu Tanja und erkläre was ich soeben vorgefunden habe. “Ich kann schon wieder. Bis zur Stadtmitte schaffe ich es auf jeden Fall”, sagt sie, weshalb wir uns wieder auf die Böcke schwingen und langsam den berghoch radeln. Tanja muss absteigen und schieben. Ich fahre voraus, lehne meinen Roadtrain an einen kaputten Zaun, laufe ihr entgegen und helfe ihr das Rad nach oben zu bringen. Dann haben wir den Höhepunkt von Tulcea erreicht. An einer Tankstelle frage ich nach Unterkünften. “Diese Richtung den Berg runter”, erklärt mir eine Frau. Als wir die Räder besteigen entdecken uns auf der Straße spielende Kinder. Es sind Sinti. Sofort haben sie ihre Beute erkannt und kommen auf uns zu. “Money! Money! Money!”, rufen sie, lachen und kichern. Ignorieren bringt nichts, denn sie laufen uns kreischend hinterher. Tanja befindet sich hinter mir. Ein Junge greift nach ihren Anhänger. Ich höre Tanja rufen: “Lass das! Finger weg!” Doch der Junge lacht und freut sich über sein Spielzeug. Tanja schwankt mit ihrem Rad über das grobe Kopfsteinpflaster. Ich sehe wie der Kleine nach den Fjäll-Räven-Fuchs (Unser Maskottchen) greift, den Tanja an die Ortliebtasche gebunden hat die sich auf den Anhänger befindet. Es geht alles blitzschnell. Die anderen Kinder sind durch den Vorstoß des Frechen motiviert, sie nehmen die Verfolgung auf. Keine Chance fort zu kommen. Also haue ich die Bremse rein, bleibe augenblicklich stehen und gebe einen Urschrei von mir. Die Kinder erschrecken, erschrecken sehr. Wir nutzen die Sekunde und fahren ungeschadet davon. Nur hundert Meter weiter rufen Jugendliche nach Geld und Zigaretten. Mein Gott in welcher Gegend sind wir gelandet? Wo ist das liebliche Rumänien? Auf welcher Schwingungsebene befinden wir uns heute, dass wir bald unaufhörlich und plötzlich solchen Menschen begegnen? Wir rollen in das Zentrum von Tulcea. In einem Hotel frage ich nach einem Zimmer. Es ist brauchbar und finanzierbar. “Dürfen wir unsere Räder mit hinein nehmen?”, frage ich wie immer. “Nein, ihre Räder müssen auf der Straße bleiben”, antwortet die Frau. “Aber da werden sie gestohlen. Das wissen sie doch”, entgegne ich. “Tut mir leid. Hier haben wir keinen Platz für ihre Räder”, sagt sie. Verwundert blicke ich mich in der weiträumigen Empfangshalle um. “Danke”, antworte ich und gehe wieder zu Tanja auf die Straße. Langsam radeln wir zu einem anderen Hotel. “Lass uns die Räder dort am Haupteingang abstellen. Da ist es belebter”, schlägt Tanja vor. “Hast du das Gefühl hier könnten Sinti vorbeikommen?”, frage ich. “Wer weiß”, sagt sie. “Hier ist alles möglich”, meine ich und laufe los, um nach einem Zimmer zu fragen. “Beeil dich!”, ruft mir Tanja hinterher. Auch in diesem Hotel dürfen die Räder nicht rein. “Hier draußen sind sie sicher. Unsere Rezeption ist die gesamte Nacht besetzt. Wenn sie ihre Räder vor dem Eingang stellen hat sie der Nachtportier im Blick”, versucht mich die junge Frau am Empfang zu beruhigen. “Welch ein Witz. Was ist wenn er mal austreten muss oder noch besser, zwischen durch mal einschläft?”, denke ich und gehe. Seltsam, so wie es aussieht befinden wir uns hier in einer Hochburg des Diebstahls. Zumindest wirkt die Stadt im ersten Augenblick so auf uns. Eigenartig, gerade hier bekommen wir zum ersten Mal auf dieser Reise keinen sicheren Stellplatz für unsere Räder. In Gedanken versunken laufe ich den Gehweg entlang. Als mein Blick Tanja erhascht durchfährt es mich siedendheiß. Drei an Armen tätowierte Männer stehen direkt vor ihr. Ich bin gerade im Begriff loszustürmen als ich Tanja lachen sehe. Kein Alarmzeichen. Ich laufe im Stechschritt weiter und gehe über die breite Straße. “Das waren die Guten”, sagt sie. “Wie?” “Na ja. Du warst gerade mal ein paar Minuten weg da habe ich zwei Jugendliche auf mich zuschlendern sehen. Sie waren barfuss, genau wie du mir noch erklärt hast.” “Es waren also Sinti?” “Ja klar. Ich dachte jetzt bekomme ich ein Problem.” “Und? Hast du eins bekommen?”, frage ich ungeduldig und sehe wie Tanjas Augenlied vor Aufregung zuckt.

Tanja erzählt

Bevor Denis gehen will, sage ich ihm er soll noch einen Moment warten: “Da kommen zwei Jugendliche über die Straße.” “Du musst ihre Füße ansehen. Die beiden tragen Schuhe. Sollten somit also kein Problem bereiten.” Denis geht los und ich bleibe mit den Rädern an der Ecke stehen. Ich bin ein Mensch der von Positiven-Denken überzeugt ist. Im Grunde ist es mir gar nicht recht nun zu berichten was ich zu berichten habe. Auch in meiner Grundüberzeugung denke ich, dass ich das Verhalten anderer Volksgruppen nicht über einen Kamm scheren darf. Es dauert nicht lange und es kommen zwei junge, etwa 16 jährige Männer über die Straße. Ein Blick nach unten verrät mir, dass sie keine Schuhe tragen. Sie steuern geradewegs auf mich zu und fragen forsch ob ich English spreche. Der Eine fackelt nicht lange herum, läuft hinter mich und greift an Denis’ Anhänger. Ich setze mein ernstes Gesicht auf und winke ihn dort fort. Erstaunlicherweise kommt er meiner Anweisung nach. Ich glaube jeder kennt die Situation, dass manchmal mit wenig Worten, Blicken oder Gesten alles gesagt ist. Schon während der junge Roma um die Räder geht sende ich ein Blitzgebet in den Himmel. Die Problematik besteht einfach darin, dass in solch einem Fall sich nur einer der beiden etwas zu greifen braucht und wegläuft. Selbst wenn ich ihn erwischen sollte, hat der andere in der Zwischenzeit im wahrsten Sinne des Wortes freie Fahrt. Okay, die Jungs kommen näher, sagen mit wenig Englisch viel Unangenehmes. Ich versuche sie auf die in Rumänien oft gehörte Verabschiedung: “Tschau!”, loszuwerden. Im ersten Moment habe ich das Gefühl es funktioniert. Doch stelle ich schnell fest die Jugendlichen rufen nur einen weiteren Jungen von der gegenüberliegenden Straßenseite. “Jetzt wird’s Zeit mit eurer Hilfe da oben”, denke ich mir und blicke nach rechts. Drei abgerissene Fischermänner laufen auf den Gehsteig entlang. In dem Moment als sie auf meiner Höhe sind, greife ich einen der Männer am von oben bis unten tätowierten Arm. Als er mir mich ansieht zeige ich mit einem Blick auf die Romas und er versteht sogleich. Die drei Männer schicken mit harten Worten die Jugendlichen fort. Diese lassen sich Zeit und drehen sich immer wieder um. Die Fischer wollen weiter. Ich bitte sie mit den Worten: “Dwa Minut”, noch etwas zu verweilen. Endlich sehe ich Denis von der anderen Straßenseite heran laufen… Na ja, nun kann ich revidieren was ich anfänglich geschrieben habe. Hat ja doch geklappt mit der positiven Denke.

Denis berichtet weiter

Den Schrecken noch in den Gliedern suchen wir weiter nach einer Unterkunft. Die letzte Möglichkeit bedeutet für uns das Hotel Delta. Wenn es da nichts gibt wissen wir nicht weiter. Tanjas Knie braucht Ruhe und wir unbedingt eine sichere Bleibe für die Nacht. Tulcea ist der Ausgangspunkt ins Donaudelta. Von hier aus legen die Fährschiffe ab. Das Delta ist für uns ein Höhepunkt unserer Reise, sind wir doch der Donau von Deutschland bis hierher gefolgt. Wir wollen uns nicht entgehen lassen wie der Vater der Flüsse, der König der europäischen Wasseradern, sich in einer kaum zu beschreibenden schönen Landschaft, nach einer Strecke von etwa 2860 Kilometern, in das Schwarze Meer ergießt. Nervös steige ich die Stufen zum Hotel Delta hoch. Sofort empfängt mich eine angenehme Atmosphäre. Sicherheit strahlen die Mauern aus. Die Empfangsdame spricht perfekt Englisch. Der Preis ist für uns gerade noch akzeptable. “Gerne dürfen sie ihre Räder bei uns unterstellen”, höre ich erleichtert. Ein Glücksgefühl durchströmt mich. Selten war ich so erleichtert einen Hafen der Sicherheit erreicht zu haben. Der Portier hilft uns das Gepäck aufs Zimmer zu tragen. Von hier aus haben wir einen herrlichen Blick auf den Fluss der Flüsse. Ich stehe mit Tanja auf dem Balkon und lege meinen Arm um sie. Wir sehen uns lachend an. Was für ein Tag? Welche Erlebnisse? Er war interessant, dieser Tag. Er war es wert ihn zu leben. Leben pur, geballt mit unbezahlbaren Erfahrungen. Glücklich sehen wir direkt in die untergehende Sonne. Fährschiffe kreuzen die letzten gleißenden Lichtstreifen des Tages. “Komm, lass uns etwas Essen gehen”, sage ich und führe meine Frau aus dem Zimmer.

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