Fahrt nach Rostock
N 54°08’40.4’’ E 012°06’12.9’’Datum:
08.08 2020
Tag: 06
Land:
Deutschland
Ort:
Parkplatzversteck am Hafen
Tageskilometer:
360 km
Gesamtkilometer:
925 km
Fahrzeit:
4 1/2 Std.
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Temperatur Tag max:
32°
Temperatur Nacht:
24°
Aufbruch:
13:00 Uhr
Ankunftszeit:
17:30 Uhr
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
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Heute wollen wir Hannover in Richtung Rostock verlassen. Das heißt, die Reise wird endlich beginnen. Nach all den Begrenzungen der vergangenen Monate ist das ein kaum zu beschreibendes Gefühl. Für Menschen wie wir, die in den letzten Jahrzehnten nahezu ungehindert die Welt entdecken und bereisen konnten, bedeutet der Aufbruch in ein anderes Land viel, denn das Unterwegssein war bisher unser Lebensinhalt, unser Lebenselixier. Während unserer Reisen mussten wir immer wieder für längere Zeit ungewollt an den unterschiedlichsten Orten und Plätzen verweilen. So verbrachten wir drei Monate in einem vietnamesischen Reisterrassental, weil ich mich dort verletzt hatte und wir erst weiterkonnten, als es mein gesprengtes Schultereckgelenk es zuließ. In China mussten wir manchmal wochenlang in einem kleinen Hotelzimmer verweilen, um auf wichtige Ersatzteile zu warten. In der großen Sandwüste Australiens (great sandy desert) waren wir gezwungen, 40 Tage in einem Wüstencamp auszuharren, weil eines unserer Kamele an Lungenentzündung erkrankte. In der mongolischen Taiga verbrachten wir 7 Monate in unserer Jurte und Tipi, da wir dort mit den letzten Rentiernomaden einen Winter erlebten. So gab es in unserem Reise- und Expeditionsleben immer wieder ungeplante lange Aufenthalte. Das war und ist alles kein Problem für uns, und trotzdem war und ist die Corona Pandemie eine andere, unüberschaubare Herausforderung, die ein Planen und Vorausdenken schwierig bis unmöglich werden lässt. „Wird das Reisen in der Zukunft überhaupt wieder möglich sein?“, streifte mich ab und an ein unangenehmer Gedanke. „Was machen wir, wenn es zum Schlimmsten kommt und solch ein Szenario Wirklichkeit wird?“, überlegte ich weiter.
Als dann die Norweger ihre Grenze öffneten, gab es kein Halten mehr und jetzt, nach unserer medizinischen Fortbildung bei Martin geht es wirklich los. „Juhu!“, jubiliere ich erneut, lasse den Motor der Terra an, lege den ersten Gang ein, worauf unser Expeditionsmobil losrollt. „In zwei Kilometer ist eine LPG-Tankstelle, an der wir Gas tanken können“, sagt Tanja, die gerade Google mit der Frage gefüttert hat, wo man in der Nähe solch eine Tankstelle findet. Nachdem unser Gastank, den wir fürs Kochen und Heizen nutzen, wieder voll ist, suchen wir eine Poststelle. Wie so oft packten wir in unserer Euphorie zu viel, weshalb wir noch mal durch unsere Ausrüstung gegangen sind, um alles, was nicht wirklich von Nöten ist, nach Hause zu senden. In dem Postgeschäft erfahre ich, dass es keine großen Kartons gibt. „Sie müssen zu einem Baumarkt gehen. Da kann man Umzugskartons kaufen“, rät die Verkäuferin. Auf dem Weg zurück zu unserem Mobil auf Rädern, treffe ich auf eine Frau, die Kartons auspackt und Bücher auf ein Mäuerchen neben dem Gehweg schlichtet. „Sieht so aus, als würden sie umziehen? Hätten sie so einen Karton übrig?“, frage ich höflich. „Klar bin sowieso gerade beim Ballast loswerden. Ich verschenke 400 Bücher. Die passen nicht mehr in unsere neue Wohnung. Warten sie, ich hole ihnen einen besseren Karton“, sagt sie und verschwindet im Haus. Minuten später überreicht sie mir einen perfekt passenden Karton. „Sie sind ein Engel“, bedanke ich mich. „Wollen sie sich nicht ein Buch mitnehmen? Da ist bestimmt auch etwas für ihre Reise dabei“, bietet sie an, weil ich ihr kurz von Norwegen erzählt hatte. Tatsächlich finde ich, passend zum hohen Norden, einen Bestseller Roman über die Wikinger. „Ich freue mich, wenn meine Bücher ein gutes, neues Zuhause finden. Wissen sie, ich hänge sehr an ihnen. Bücher sind meine Welt, aber wenn der Platz fehlt, muss man sich auch von lieb Gewonnenem trennen. Letztendlich handelt es sich dabei nur um materialistische Anhaftungen.“ „Da haben sie recht. Ich werde das Buch lesen und an sie denken“, antworte ich mich verabschiedend.
„Ich habe euch schon mal in Berlin getroffen“, spricht uns eine Frau freundlich an, als ich Minuten später vor unserer Terra Love auf dem Gehweg den eben erhaltenen Karton mit Packband zuklebe. „In Berlin?“, frage ich und überlege, wann wir das letzte Mal in der Hauptstadt verweilten. „Ihr habt dort vor ca. 10 Jahren einen Vortrag gehalten“, erklärt sie. „Oh, das kann sein“, antworten wir. „Ihr müsst unbedingt an meinem Tauschladen vorbeikommen. So ein Laden ist in dieser Form einmalig in Deutschland. Wird sogar von der Regierung unterstütz. Da gibt es tolle Sachen. Ihr braucht doch bestimmt noch was für eure große Reise?“ „Hm, eigentlich sind wir gerade dabei abzuspecken“, antwortet Tanja. „Egal schaut doch bitte bei mir vorbei. Es ist nur hundert Meter die Straße runter. Seht ihr? Dort an der Ecke“, sagt sie und deutet auf eine Straßenkreuzung. „Okay, wenn wir das Paket auf den Weg gebracht, besuchen wir dich kurz.“
„Ach, das ist schön, euch in unserem Tauschgeschäft begrüßen zu dürfen“, freut sich Gil, die Projektleiterin des www.tauschtreff.com, als wir das Geschäft eine viertel Stunde nach unserem Treffen betreten. Gil erklärt uns, wie das System funktioniert. „Die Menschen bringen Dinge vorbei, die sie nicht mehr benötigen. Dafür bekommen sie Punkte. Mit diesen Punkten können sie dann bei uns einkaufen. Das heißt, sie geben etwas ab und holen sich dafür das, was sie möchten. „Möchtet ihr einen Kaffee?“, fragt Gil nach einer Weile. „Danke, wir wollen heute noch nach Rostock fahren“, antworten wir und verabschieden uns.
Am frühen Abend erreichen wir die Universitäts- und Hansestadt Rostock an der Ostsee. Unsere Terra rollt auf den größten deutschen Kreuzfahrthafen, auf dem wegen Corona kein einziges Kreuzfahrtschiff zusehen ist. Wir parken neben einigen Brummis und suchen das Fährterminal auf. Weil wir nicht unter Zeitdruck geraden wollten, haben wir keine Fähre vorgebucht, trotzdem sind wir uns sicher, eine Überfahrt nach Schweden zu bekommen. Tatsächlich erhalten wir für 236,- € eine Passage für morgen Früh um 8:00 Uhr. „Darf unser Hund das Fahrzeug verlassen?“, fragt Tanja, weil wir davon gehört haben, dass Hunde an Bord nicht herumlaufen dürfen. „Natürlich können sie ihren Hund mitnehmen. Er muss aber einen Maulkorb tragen. Auf Deck 8 gibt es sogar eine Hundetoilette“, erklärt die Angestellte der TT-Line.
Was meinst du, wo wir heute Nacht parken sollen?“, fragt Tanja auf die zahlreichen, stinkenden, lauten Lastzüge deutend, die ihre schweren Dieselmotoren laufen lassen, um die Klimaanlage der Fahrerkabinen zu betreiben. „Hm“, überlege ich und schrecke zusammen, als einer der monstergroßen Lastenkräne unter ohrenbetäubendem Getöse eine Metallkonstruktion auf einem Containerschiff verlädt. „Lass uns mal ein bisschen herumfahren. Wir finden bestimmt ein ruhigeres Plätzchen“, bin ich zuversichtlich. Nur wenig später entdecken wir hinter einem Verwaltungsgebäude einen wilden Rasen und ein paar Bäume. Weil am Samstagabend keiner mehr arbeitet, haben wir eine gute Chance, hier ungestört die Nacht verbringen zu können…