Ein Alptraum wird Realität! Gedanken an den Tod kommen auf!
N 44°32'217'' E 026°28'513''Geschehnisse vom 27.06.2006
Nach einer überraschend guten Nacht schwinge ich meine Beine über die Bettkante. “Aaaahhh!” fährt es mir über die Lippen als ich an der Zimmertür stehe und das Gefühl habe als hätte mir jemand einen glühenden Pfahl vom Anus bis zum Halswirbel durch das Fleisch gerammt. Da ich dringend zur Toilette muss, reiße ich, entsetzt über die Intensität des Schmerzes, die Tür auf und humple ins Bad. Schnell setze ich mich auf die Schüssel, doch das ist ein Fehler. Der Schmerz steigert sich unmittelbar ins Unerträgliche, ins Alptraumhafte, ins Ungewisse seiner Fähigkeiten. “Aahhh”, stöhne ich gequält. Wäre ich nicht in Huibs Haus würde ich einfach lauthals brüllen. Ich versuche mich hingegen zu beherrschen. Plötzlich ergreift mich Schwindel. “Nur nicht bewusstlos von der Toilette fallen”, fluche ich leise. “Was für eine Schmach wäre es hier eine riesige Sauerei zu veranstalten? Besinnungslos in den eigenen Exkrementen zu liegen. Nein ich muss durchhalten”, zische ich durch meine zugepressten Lippen.
Keine Ahnung wie ich es schaffe aber irgendwie komme ich wieder zum stehen. Der Schmerz klettert auf der anscheinenden Skala der Unendlichkeit eine weitere Stufe in die Unerträglichkeit. Eine neblige Wand legt sich vor beide Augen. Es ist eine Wand die Erleichterung verspricht, doch bringe ich meine gesamte Willenskraft auf hier nicht besinnungslos zusammenzubrechen. Ich klammere mich am Handtuchhalter fest und hinke einen Schritt in Richtung Badtür. “Aaaahhh!”, entfährt es mir jetzt schon lauter. Die Tür scheint auf einmal ewig weit weg zu sein. Wie soll ich da hinkommen? Ein weiterer Schritt lässt mich zusammenfahren als hätte mich eine Kugel in den Rücken getroffen. Mir wird heiß. Das Herz rast. Man könnte meinen es wolle aus den Körper springen. Mein Atem fliegt oberflächlich dahin als bekämen meine Lungen nicht genügend Sauerstoff, um das System zu versorgen. Die Tür verformt sich vor meinen Augen zu einem Oval. Das Oval wird zum Kreis der wiederum unvermittelt davon fließt. “Komm, die zwei Meter schaffst du noch!”, versuche ich mich laut sprechend zu motivieren. Unter der Aufbringung aller in mir vorhandenen Kraft humple ich drei Schritte voran, halte den Griff in meinen Händen. Reiße die Badezimmertür auf. Gleich dahinter liegt unser Schlafraum. Noch ein Schritt der unbeschreiblichen Höllenqualen, des absoluten Wahnsinns und ich klammere mich mit nass geschwitzten Händen an den zweiten Türgriff. Mehr stürzend als gehend falle ich in den Raum und auf das Bett. “Aaahhh! Aaaaahhh! Aaaaaaahhhhh! Hhhaaaa!”, stöhne ich immer noch verhalten und liege wie gelähmt auf der Matratze. “Tanja reißt es unmittelbar aus dem Tiefschlaf. “Was ist denn los? Um Gottes Willen sag mir bitte was los ist?”, fragt sie entsetzt. “Aaaaahhh! Aaaaaaahhhhh! Hhhaaaa!”, kommt es mir unkoordiniert über die Lippen, unfähig zu antworten, denn mein Sprachzentrum scheint außer Betrieb zu sein. “Denis! Bitte sag mir was los ist? Bitte!”, höre ich eine für meine Ohren wabernde, weit entfernte Stimme. Sie dringt durch eine Wand unmenschlicher Höllenqualen. Nach Atem ringend liege ich minutenlang da und versuche Tanja zu antworten. “Der Rücken! Mein Rücken! Grausame Schmerzen!”, presse ich dann unter großer Anstrengung hervor als die bösartige Klammer der Peinigung, um ein paar Stufen nachlässt. “Was sollen wir jetzt unternehmen?”, fragt Tanja. “Keine Ahnung. Ich nehme am besten noch ein Voltaren-Zäpfchen. Es wird schon wirken. Wir müssen nur ein paar Tage hier ausharren. Dann wird sich der offensichtlich gereizte Nerv im Rücken schon wieder beruhigen”, stolpert es mir über die Lippen. Tanja gibt mir ihren MP3-Player. “Hör Dir mal die Motivations-CD an.” “Was für eine Motivation?”, möchte ich wissen. “Hilfe zur Selbstheilung.” “Hm, Du meinst das kann mir in meinem Zustand noch was bringen?” “Keine Ahnung. Es kann zumindest nicht schaden”, meint Tanja zuversichtlich. Ich ziehe mir den Kopfhörer über und bleibe stocksteif auf dem Rücken liegen. Durch die Ruhe reduziert sich der Schmerz auf ein erträgliches Maß. Dann lausche ich der monotonen Stimme die mir etwas über die Selbstheilungskräfte des Körpers erzählt. Erst verwirrt mich das Gesäusel in meinen Ohren und 20 Minuten später nervt es mich derart, dass ich den MP3-Player abschalte.
Um festzustellen ob der Schmerz noch da ist versuche ich mich eine Stunde später ganz vorsichtig zu bewegen. Sofort werde ich durch ein messerscharfes Ziehen, welches mir glatt die Luft wegnimmt, bestraft. “Huib muss doch heute gehen und wir müssen das Haus verlassen. Weiß nicht wie ich meinen Körper aus diesem Bett bringen soll?”, jammere ich verzweifelt. Tanja, die mit ihrem Latein auch am Ende zu sein scheint, reagiert mit Schweigen. Nach langer Pause sagt sie: “Bleib einfach noch eine Stunde liegen. Dann wirken die Medikamente und Du kannst bestimmt wieder laufen.”
Es ist 10:00 Uhr und höchste Zeit das Haus zu räumen. Meine Situation ist unverändert. Die kleinste Bewegung verursacht mir Höllenqualen. Nur der Gedanke an meine morgendliche Toilettenaktion lässt mir die Haare zu Berge stehen. Konzentriert liege ich da und überlege krampfhaft wie ich hier raus komme. “Jetzt oder nie, entscheide ich plötzlich, hebe meine Beine so schnell es mir möglich ist über die Schlafstätte, richte mich auf, als mich schon die erste Welle des Schmerzes durchrast. Humpelnd ereiche ich die Tür. Die zweite Welle zwingt mich fast in die Knie. “Ahhhh!”, dringt es aus meinem Inneren. Bis zur Treppe sind es nur 2 Meter. Die dritte Welle erschüttert mein menschliches sein. Der Schmerz bleibt nun und lähmt nahezu die Beine. Mit beiden Händen fasse ich das Treppengeländer und hieve mit aller Kraft meine gebrauchsunfähigen Körper Stufe für Stufe nach unten. Jetzt nur noch die gewaltige Distanz von ca. 5 Metern bis zur Terrassentür. Mir wird schwarz vor Augen als ich sie erreiche. Dann die unmögliche Entfernung von weiteren sieben Metern bis zum Garten. Ein monströses Zittern lässt jeden Muskel verspannen. Wie ein Stück fremde Masse schleppe ich meine in Flammen stehenden Muskeln, Sehnen, Nerven und Knochen nach vorne. Nie hätte ich gedacht, dass der menschliche Leib in der Lage ist, solch eine unermessliche Folter zu verursachen. Mit allerletzter, kaum zu beschreibender Überwindung, einer unüberschaubaren Wand aus Qualen, breche ich auf dem grünen Rasen von Huibs Garten zusammen. Tanja war die gesamte Zeit, die mit Sicherheit unvergesslich in meine Gehirnwindungen eingebrannt bleiben wird, hinter mir. “Mein Gott, du Armer”, tröstet sie mich und streichelt mir über die nass geschwitzte Stirn. Sie holt mir eine Isolationsmatte auf die ich mich 10 Minuten später rolle. Dann liege ich für lange Zeit wie eine bewegungslose Schildkröte auf dem Rücken.
Meine Gedanken überschlagen sich. Huib hat sich schon vor Stunden von uns verabschiedet. “Wenn ihr wollt schicke ich euch morgen einen meiner Mitarbeiter. Er soll Euch abholen und nach Bukarest bringen. Wenn ihr mich braucht sagt meinen Wachmann bescheid. Er hat ein Handy und kann mich jederzeit erreichen”, bot er uns seine weitere Hilfe an. Mir kommt dieser Mann tatsächlich wie ein Engel vor. Was würden wir nur ohne ihn tun? Es war eine perfekte Eingebung nicht weiterzuradeln. Obwohl ich hier in einem Garten Rumäniens liege, haben wir durch Huib zumindest die Chance auf Rettung. Natürlich nur wenn sich die Situation weiterhin verschärft.
Ich glaube wir müssen unsere Reise abbrechen!
Ich kann bis jetzt noch nicht glauben was mir hier widerfährt. Alles war so gut vorbereitet. Die Finanzierung durch unsere Sponsoren, die Technik, die perfekten Räder, Anhänger, einfach alles. Selbst die Beschaffung der komplizierten und kostenintensiven Visa und das gesamte Timing standen bisher unter einem guten Stern. Einfach alles hat geklappt und jetzt das. “Ich muss mal pinkeln”, sage ich und weiß nicht wie ich das veranstalten soll. Mühsam erhebe ich mich, hinke ein paar Meter Richtung Gartenzaun, als mich urplötzlich die glühende Klinge eines Schwertes in zwei Hälften teilt. Nichts mehr unter Kontrolle habend gehe ich in die Knie und robbe wie ein gebrochener Mann zu meiner Isomatte zurück. Tränen kullern mir über die Wangen. Es sind Tränen des Schmerzes aber auch Tränen einer bitteren Erkenntnis. “Tanja.” “Ja.” “Ich glaube wir müssen unsere Reise abbrechen. Es geht nicht mehr weiter. In meinem Rücken ist irgendetwas Entsetzliches geschehen. So muss sich ein schlimmer Bandscheibenvorfall anfühlen”, sage ich, nachdem ich mich vom Versuch im Stehen zu pinkeln wieder erholt habe. “Ist das dein Ernst?” “Ja”, antworte ich und bin mir bewusst in den letzten 23 Jahren meiner Reisezeit noch nie gezwungen worden zu sein durch eine Verletzung Heim gehen zu müssen. Meine Gedanken schweifen nach Pakistan wo mir Tanjas Kamelbulle Cockie fast die Hand abgerissen hatte. Tanja ist damals Cockies ans Maul gesprungen, Mit vereinten Kräften zogen wir beide an seinen großen Lippen. Tanja nach unten und ich mit meiner freien Hand nach oben. Cockie gab nach einer Weile nach und ich konnte meine Hand aus seinem Maul reißen. Weil mir einer seiner Reißzähne fast den Nerv im Handgelenk durchtrennte war sie für ½ Jahr taub. Trotzdem ging unsere Expedition weiter.
An der Grenze zu Afghanistan haben die Mudschaheddin auf uns geschossen. Die Kugel hat mich und mein Kamel nur knapp verfehlt. Ich hatte Glück und die Expeditionsreise konnte weitergehen.
In Nepal tötete unsere Elefantendame Bawan Kumari im Laufe ihres Lebens drei ihrer Mahouts (professionelle Elefantentreiber). Immer wieder griff sie unsere Crewmitglieder an, die ihren Attacken nur mit knapper Not entkamen. Mich hat sie mit ihrem Rüssel nur einmal leicht am Arm erwischt. Die Folge war ein Muskelriss in der Schulter. Trotzdem konnte unsere Reise weitergehen.
In der Mongolei sind wir einmal von betrunkenen Mongolen überfallen worden. Es kam zu einem fürchterlich Kampf auf Leben und Tod. Bei unserer Flucht schlug eines unserer Pferde aus. Der Huf traf mein linkes Knie. Tanja holte mich aus der Bewusstlosigkeit. Wir flohen und unsere Mongoleidurchquerung konnte weitergehen.
In Guyana überfielen mich in einem Slum-Viertel vier Schwarze. Eine Messerattacke verfehlte um Haaresbreite mein Herz. Die Klinge streifte nur meine Brust. Es kam zum Kampf. Letztendlich konnte ich mich zurückziehen und unsere Expedition zu den Wai-Wai-Indianern war fürs Erste nicht gefährdet.
Meine Gedanken schweifen von einer Katastrophe zur Anderen. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich neben den schönen Erlebnissen eine ganze Zahl von Unfällen und Beinahunfälle angehäuft. Natürlich kamen solche schlimmen Zwischenfälle nur selten vor, aber wir wurden von Zeit zu Zeit mit ihnen konfrontiert. Bisher hatten Tanja und ich immer wieder Glück im Unglück. Trotz Verletzungen, Diebstählen und sonstigen Unannehmlichkeit schafften wir es jedes Mal unser Vorhaben durchzuziehen. Diesmal allerdings liege ich schon zu Beginn unserer Reise schwer angeschlagen in einem rumänischen Garten. Die gewaltigen Schmerzen lassen keinen Zweifel mehr offen. Jetzt fragt es sich nur, wie wir es bewerkstelligen mich hier raus zu bringen. Nie hatten wir damit gerechnet, dass einer von uns beiden in die schreckliche Lage kommt nicht mehr gehen zu können. Das ist eine völlig neue Dimension an Herausforderung. Eine Dimension die im Augenblick mein Denkvermögen übersteigt.
“Ich glaube es einfach nicht”, holt mich Tanjas flüsternde Stimme aus meinen Gedanken. Sie sitzt auf dem Rasen, ihre Arme um die Knie geschlungen und auf das weite Tal blickend in dessen Mitte ein See in der warmen Abendsonne glänzt. Ein Hirte hütet mit Hilfe seiner Hunde die Schafherde des Dorfes Mariuta. Kindergeschrei wird von einer leichten Brise herüber getragen. Das Gegröle eines Betrunkenen stört diese Idylle. Aber nicht nur seine Laute empfinde ich als störend, sondern die gesamte beschissene Situation in der wir uns auf einmal befinden. Durch meine liegende Position kann ich kaum etwas von der wunderschönen Landschaft sehen. Meine frischen Erinnerungen von gestern spiegeln mir das Bild vor mein geistiges Auge. Ich denke nach. Spüre Tanjas Traurigkeit. Eine Trauer ihren Mann so leiden zu sehen aber auch eine Trauer unsere Trans-Ost-Expedition abbrechen zu müssen. Die Enttäuschung jetzt nicht an die Küste radeln zu können, nicht das Schwarze Meer, Moldawien, die Ukraine oder gar Sibirien zu erreichen. Ich spüre Tanjas Angst um mich. Sie ist regelrecht greifbar. Sie ist real, zu real. Sie ist gnadenlos und schnürt mir fast die Kehle zu. Wie wollen wir hier wegkommen? Ob ich morgen wieder gehen kann? Ob ich mich in ein Auto schleppen kann, um darin zu reisen, geschweige denn mit einem Flugzeug heim fliegen? Ich weiß es nicht und ehrlich gesagt ist es mir in diesem Moment auch egal. Das Einzige was für mich jetzt zählt ist diesen sich scheinbar unaufhörlich steigernden Schmerz zu entrinnen.
Entblößt und erniedrigt
Als der rot glühende Sonnenball im Begriff ist sich in das weite Tal zu legen, um sein Feuer in dem kühlen Nass des Sees zu löschen, scheint mein geplagter Leib die lodernden Flammen zu übernehmen. Es scheint als entzünde nur die geringste Bewegung einen weiteren Brandherd. Stocksteif, vor Schmerz total gelähmt, liege ich in meinem eigenen Schweiß auf der Isolationsmatte. Ein Wind kommt auf, fegt über die Terrasse auf der Tanja unser Nachtlager errichtet hat. Unter normalen Umständen würde ich das Säuseln des Windes als angenehm empfinden. So aber fühlt es sich an als würde er das Feuer in meinen Eingeweiden nähren. Die Voltaren-Zäpfchen zeigen nicht dir geringste Wirkung. Indessen beginnt mein Magen sich gegen das starke Schmerzmittel aufzulehnen. Der Drang mich zu entleeren wird größer und größer bis ich nicht mehr anders kann. Es ist dunkel als ich den Versuch unternehme wie ein Hund auf allen Vieren zum Gartenzaun zu kriechen. Die Gelegenheit nutzend, tollen Huibs Hunde laut bellend, um mich herum. Nur der Gedanke daran einer von ihnen könnte mich berühren treibt mir noch mehr Schweiß auf die Stirn. “Macht dass ihr wegkommt!”, ruft Tanja, worauf sich die Drei davon trollen. Zitternd knie ich nun im Rasen. Ich weine Rotz und Wasser, bin völlig verzweifelt . “Ich will nach Hause! Will kein Abenteurer sein!”, fluche ich niedergeschlagen als es mir die Beine hinunter läuft. In diesem Moment fühle ich mich von meinem Schicksal bis auf die Knochen entblößt. Ausgezogen, entlarvt, erniedrigt, gedemütigt. Ich fühle mich wie ein Stück Dreck unter dem Fingernagel. Unnützer Ballast auf Erden. Tanja kommt. Spricht mit mir liebevoll. “Ich mach das gerne. Du brauchst dich nicht erniedrigt zu fühlen. Ich liebe dich doch”, sagt sie als sie mich ab putz. In Hundestellung robbe ich dann unter unbeschreiblichen Qualen wieder zu meiner Bettstatt zurück. “Wow! Wow! Wow!”, bellen die Hunde, rasen in ihrer jugendlichen Energie um mich herum und denken wahrscheinlich, dass der dahin robbende Mensch ein verdammt guter Spielkamerad ist.
Gedanken an den Tod kommen auf
Ein warmer Lufthauch erhebt sich aus dem Tal. Mit ihm dringen die Laute eines schlafenden Dorfes zu uns. Hunde jaulen um die Wette. Manche von ihnen raufen sich offensichtlich um die Rangordnung. Es klingt regelrecht Furcht einflößend. Huibs Hunde bellen und knurren was das Zeug hält. Sie rasen auf dem Anwesen hin und her. Man könnte glauben sie wollen eine ganze Diebesbande in die Flucht schlagen. “Ob da jemand ins Haus einbrechen möchte?” wispert Tanja. “Das würde uns gerade noch fehlen”, antworte ich mit bangen Gedanken in die Finsternis lauschend. Am dunklen Himmel türmen sich schwarze, bedrohlich aussehende Wolken. Ab und zu werden sie von einem gleißenden Blitz zerrissen. Eine Gewitterfront bahnt sich einen Weg durch die geisterhafte Nacht. Es ist 23:00 Uhr als ich das dritte Zäpfchen einführe. Ich weiß nicht wie es ohne dieses Schmerzmittel wäre, aber ich habe das Gefühl als könnte ich genau so gut Bobons lutschen. Das schreckliche Ziehen kommt jetzt nicht mehr in Wellen, sondern hat sich auf einer hohen Stufe regelrecht manifestiert. Nur wenn ich nach endloser Zeit meine Position verändern muss scheint es eine weitere Stufe auf der Skala nach oben zu klettern. Meine Verzweiflung steigert sich proportional zum Schmerz. Die ersten Gedanken an eine Querschnittslähmung blitzen auf. Sieht so das Ende eines Reiselebens aus? Ist es das was das Schicksal für mich vorgesehen hat? Warum? Warum nur? Habe ich das verdient? Ich will so nicht enden. Nicht so.
Erste Gedanken an den Tod schleichen sich in meine Gehirnwindungen. Wenn der Schmerz so anhalten sollte ziehe ich es vor zu sterben. Ich erschrecke. Habe ich gerade über den Tod nachgedacht? Ja habe ich, und es war nicht einmal so tragisch. Ich bin verblüfft über mich selbst. Über meine Gedanken. “Der Schmerz treibt dich dahin”, höre ich die Stimme in mir. Na und? Mir egal wer mich veranlasst über den Tod nachzudenken. Es ist doch gar nicht so schlimm. Gott sei Dank hatte ich bisher ein fantastisches Leben. Ich habe nichts versäumt. Es war erfüllt. Bis zum Anschlag erfüllt. Es ist sogar angenehm sich mit diesem Gedanken zu beschäftigen. Auf jeden Fall hören dann diese Schmerzen auf. Das ist es schon wert. “Was ist mit deiner Tanja, deiner Familie? Wäre sehr egoistisch von dir jetzt einfach zu gehen. Es ist zu früh. Du hast noch viel vor”, höre ich die mir vertraute Stimme. “Stimmt, es wäre egoistisch aber warum werde ich so gequält? Das halte ich nicht aus. Ich will es auch gar nicht aushalten. Ich habe das nicht verdient. Warum macht ihr das mit mir? So ein Scheiß. Setzt dieser schrecklichen Qual ein Ende! Und wenn es der Tod sein soll der mich davon erlöst. Ich will nicht sterben aber ich will auch nicht verrückt werden. Noch schlimmer, verrückt und noch dazu in einem Rollstuhl. Nein! Nein! Nein! Das will ich nicht. Hört ihr! Hörst Du! Oder wer auch immer Gott ist!”, fordere ich völlig verzweifelt und ertappe mich plötzlich das ich laut vor mich hin stammele. “Ist es so schlimm?”, holt mich Tanjas Stimme aus der trübseligen Stimmung. “Ja, es ist ganz furchtbar schlimm”, antworte ich.