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Mongolei/Ulan Bator/Roelof-Anudari-Camp

Dreizehntes Resümee – Mystischer Übergang in die andere Welt

N 47°55'228'' E 106°54'881''

21:00 Uhr. Zwei Scheinwerfer fraßen sich durch die Dunkelheit und hielten auf uns zu. Bilgees Cousin Erdene Ochir und seine Frau Urtnast holten uns mit einem Jeep ab. „Auf Wiedersehen Steppe“, flüsterte ich mit einem wehmütigen Gefühl in der Brust. Nach 35 Kilometern tauchten die ersten Lichter auf. Eine Tankstelle, ein kleiner Supermarkt, ein kleines Hotel. Straßenbeleuchtung, Autos, Lastwägen, Menschen, Müll, Schlaglöcher, einfache Häuser. „Wir sind in der Zivilisation“, sagte ich. „Und wie fühlt sich das für dich an?“, fragte Tanja. „Nicht gut. Ich vermisse jetzt schon die Ruhe, das säuseln des Windes, die Steppenblumen, die vielen Tierherden und das Geräusch wenn unsere Pferde das Gras vom Grund rupfen.“

In den kommenden Wochen lebten wir bei verschiedenen Familienmitgliedern von Bilgee. Viermal zogen wir um und jedes Mal wurden wir zuvorkommend und liebenswert aufgenommen und behandelt. Als wären wir tatsächlich ein Teil Bilgees Familie geworden.

Der Abschied von meinem Hund Mogi war bitter. Hätte ich nicht gewusst, dass er bei Badamsuren und Nyamka ein wunderbares Zuhause bezog, hätte es mir das Herz gebrochen. Aber Mogi ist ein wilder und starker Hund. Ein Hund der die Kälte, das Jagen und seine Mongolei liebt. Ein Leben in Deutschland wäre sicherlich nicht das Richtige für ihn gewesen.

Bilgee suchte uns öfter in den jeweiligen Domizilen auf. An einem Abend nahm er uns zu seiner Schamanin mit. Gebannt waren wir als sie laut trommelnd durch die Nacht wirbelte. Dann fuhr der 900 Jahre alte Spirit in sie, worauf sie sich auf einem Hocker vor dem Feuer nieder ließ. Für einige Zeit war nur das Knistern der Flammen zu hören. Das Schamanengewand aus längst vergangener Zeit, versehen mit Zeichen und Glöckchen, wurde wie kommende und gehende Schattengeister vom Flackern des züngelnden Feuers erhellt. Der Moment war gespenstisch, bald etwas unheimlich.„Hi, hi, hi!“, lachte das uralte Wesen mit einer uralten Stimme leise vor sich hin und begann mit krächzender Stimme zu sprechen.

In einer Vollmondnacht schleppte Bilgee uns mit auf einen Berg. Auf dessen Kuppe ragte eine Anzahl von baumstammgroßen Pfählen in den klaren Sternenhimmel. An ihren Spitzen flatterten schwarz, rot, blaue und weiße Banner in der vom Vollmond erhellten Finsternis. Etwa tausendfünfhundert Menschen wimmelten durcheinander. Sie trugen ungezählte Säcke voller Schafwolle heran, um diese um die Steinhaufen zu häufen in denen die Pfähle steckten. Aber auch in den niedrigen, ebenfalls aus Steinen errichteten Wällen, die die Pfahlhaufen in eigenwilligen Linien umgaben und zu einem großen Oval um die gesamte Anlage führte, stopften die Mongolen ihre Wolle. Dann streuten sie säckeweise Kuhdung, Moos und Kräuter Essenz darüber. Am Schluss legte bald jeder der Anwesenden kiloweise Butter darauf.

Während des koordinierten Durcheinanders bildete sich plötzlich ein großer Hof um den Mond. „Hurreee! Hurreee! Hurreee!“, riefen die Menschen ihre Arbeit unterbrechend, den Mond anblickend. Sie streckten ihm ihre Arme entgegen und ließen sie, mit den Handflächen nach oben, im Uhrzeigersinn kreisen. Zweifelsohne waren wir Zeuge einer kaum bekannten kultischen Festlichkeit. „Wir gedenken unserem großen Dschingis Khan und rufen seine Energie“, erklärte Bilgee.

Mit langen Stöcken, deren Enden brannten, setzte eine Anzahl von Männern den gigantischen Wollkreis (ca. 150 Meter im Durchmesser) in Flammen. Damit er besser brannte wurde er zusätzlich mit tierischem Öl benetzt.

Während einige Männer und Frauen Dschingis Khan huldigten, in dem sie laut etwas für uns nicht verständliches vorlasen, rief die Masse in den Lesepausen „Hurrreee! Hurrreee! Hurrreee!“ Der große Feuerkreis wärmte die kalte Nacht zusehend. Frauen und Männer begannen sich auszuziehen. Sie reckten ihre Bäuche, Knie und Brüste den Flammen entgegen, von dem sie sich offensichtlich heilende Wirkung versprachen. Ab 1:00 Uhr nachts, nach den Gebeten und Rezitieren der Texte, begannen die Dschingis Khananbeter im Uhrzeigersinn um den gewaltigen Feuerkreis zu laufen. Sie beteten dabei inbrünstig und schleuderten bis zum Morgengrauen, mit kleinen hölzernen Opferlöffeln, unentwegt Milch in die Luft. Tanja und ich mischten uns während der gesamten Zeit unter die Menschen. Dann setzten wir uns in etwa 50 Meter Abstand ins Gras und inhalierten eine der fremdartigsten und schönsten Zeremonien der wir während unseren Expeditionsreisen je beigewohnt hatten. „Der starke Geist Dschingis Khans wird euch nun auf all euren zukünftigen Reisen begleiten und beschützen“, sagt Bilgee der aus den flackernden Schatten plötzlich neben uns auftaucht.

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