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AUFGELADEN zu den Polarlichtern im hohen Norden - 2020

Die Polarlichterjagd beginnt heute Nacht

N 68°06’14.6’’ E 013°17’02.0’’
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    Datum:
    26.09.2020

    Tag: 055

    Land:
    Norwegen

    Ort:
    Rastplatz Flakstad

    Tageskilometer:
    43 km

    Gesamtkilometer:
    5046 km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Fähre
    0

    Brückenüberquerungen:
    4

    Tunneldurchfahrten:
    9

    Sonnenaufgang:
    06:55 Uhr

    Sonnenuntergang:
    19:02 Uhr

    Temperatur Tag max:

    Temperatur Nacht min:

    Windböen
    100 km/h

    Aufbruch:
    16:45

    Ankunftszeit:
    19:50

 

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

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In der Terra checke ich die neue Aurora App. „Um 2:00 Uhr nachts soll sie sich zeigen“, sage ich. „2:00 Uhr? Oweh. Kannst du mich wecken?“, fragt Tanja, die nachts ungern aufsteht. „Klar, aber du musst auch aufstehen, wenn ich dich wecke.“ „Ich versuche es. Ganz bestimmt.“ „Wir werden sehen“, antworte ich lächelnd, da ich meine Tanja seit über 32 Jahre kenne. Nach dem Abendessen lade ich die Akkus unserer Stirnlampen und der Kameras. Dann arbeite ich mich in die Bedienung meiner Ersatzkamera ein, die ich schon seit langer Zeit nicht mehr benutzt habe. „Sicher ist sicher“, denke ich mir. Ich spiele mit der Hauptkamera ein paar Einstellungen durch: Belichtung 10 Sekunden, Iso automatisch, Entfernung manuell, Intervallauslösung. „Hoffe, das passt so.“ Die Aurora borealis soll man meist nur durch die Kamera erkennen können, hat man mir erzählt. Tanja liegt bereits in ihrem kuscheligen Bett und schläft tief. Es ist 23.00 Uhr. Ich werfe noch mal einen Blick nach draußen, ob sich bei den anderen zwei Wohnmobilen, die auch auf diesen Platz stehen, etwas tut. Nichts, alles still. „Vielleicht haben die ja auch kein Interesse an Nordlichtern“, geht es mir durch den Kopf. Ich stelle meinen Armcomputer auf 24:00 Uhr und gehe ebenfalls ins Bett. Bevor ich mir die Zudecke hochziehe, öffne ich noch mal ein Fenster und blicke nach draußen. „Da rührt sich was“, sage ich leise, stehe auf, ziehe mich wieder an und trete in die Nacht. Unsere Nachbarn leuchten mit ihren Taschenlampen herum. Ich blicke in den Nachthimmel und kann beim besten Willen nichts erkennen, nicht mal mit viel Fantasie. „Ob sie sich uns überhaupt zeigen wird?“, überlege ich und begebe mich etwas enttäuscht wieder ins Bett. Piep! Piep! Piep! Weckt mich meine Uhr um 24:00 Uhr. Gerade eine halbe Stunde geschlafen quäle ich mich hoch. Da ich nicht weiß, ob da draußen wirklich was zu sehen ist, lasse ich Tanja weiterschlafen. Ich schnappe mir meine Kamera und verlasse zum x-ten Mal die Terra. Außer ein paar verdächtige Streifen am Firmament ist nichts zu erkennen. „Ob das Aurora ist?“, frage ich mich, klicke meine Kamera auf das Stativ und versuche, ein Foto zu schießen. Plötzlich geht die Langzeitbelichtung nicht. „Was soll das denn für ein Scheiß sein!“, fluche ich und gehe verschiedene Einstellung durch. Als mir die Finger kalt werden, steige ich wieder in unser beheiztes Mobil. 20 Minuten lang versuche ich, den Fehler zu finden, und werde immer nervöser, da sich beim Blick aus dem Fenster jetzt tatsächlich helle Streifen über den Nachthimmel ziehen. Weil die Langzeitbelichtung nach wie vor nicht funktioniert, lege ich die Kamera auf die Seite und schnappe mir meine Ersatzkamera, auf die ich das gute Objektiv setze. Schnell eile ich nach draußen, klicke die Kamera aufs Stativ und schieße ein paar Aufnahmen. Nervös blicke ich dann in den Sucher der Kamera, rufe die Speicherfunktion auf und kann es nicht glauben, was ich da sehen. „Aurora! Fantastisch! Ja! Ja! Ja!“, rufe ich, laufe ein paar Meter weiter und schieße mehr Aufnahmen. „Wundervoll!“, rufe ich begeistert und eile zur Terra. „Tanja aufwachen!“ „Was ist los?“ „Die Aurora ist da!“ „Was?“ „Polarlichter! Nordlichter! Sie sind da! Beeile dich!“, rufe ich, schließe wieder die Tür und sprinte zu meiner Kamera zurück. An der nahen Straße schießt ein Auto heran und rast auf unseren Parkplatz. Die Tür springt auf und ein Norweger steigt mit seiner Kamera aus. „Polarlichtjäger“, geht es mir durch die Gehirnwindungen. Plötzlich steht Tanja neben mir. „Du bist tatsächlich aufgestanden“, freue ich mich. „Na das lasse ich mir doch nicht entgehen“, lacht sie. „Da schau mal in den Sucher“, fordere ich sie auf. „Wow! Fantastisch.“ „Und schau mal nach oben.“ „Da ist sie.“ „Ja, die hellen Streifen. Das ist die Aurora. Es sind die elektrisch geladenen Teilchen der Sonnenwinde, die mit Gasen der Erdatmosphäre in etwa 90 bis 150 Kilometer über unseren Köpfen zusammenstoßen“, schwärme ich. „So schön. Wunderschön“, bewundert Tanja die sich ständig verändernden, weiß, grünlich und bläulichen Leuchtbänder und Schleier, die sich von den dunklen Felsklippen im Nordmeer über die Bucht wölben und auf der anderen Seite zwischen zwei kantigen Bergspitzen wieder verschwinden. „Absolut. Ein besonderer Moment in unserem Leben“, stimme ich zu. „Komm, lass uns mal runter zum Strand gehen“, schlage ich vor, worauf uns unsere Stirnlampen den Weg durch die Felsen, über einen kleinen sprudelnden Gebirgsbach bis zum Strand weisen. Ajaci freut sich über die nächtliche Wanderung, springt neben uns her wie eine junge Gämse, schleckert am frischen, kalten Gebirgswasser des Baches, springt über den erkalteten Sand des Strandes, spielt mit den Wellen, die sanft anrauschen und sich mit einem satten Klatschen unweit von uns zu Füßen werfen. „Lauf mal bis zu den Wellen und leuchte mit deiner Stirnlampe in den Himmel. Das wird bestimmt ein gutes Bild“, schlägt Tanja vor. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und sehe über mir den kosmischen lindgrünen Schweif, hinter dem sich in dem undefinierbaren Blau des Alls die Milchstraße erstreckt, in der Milliarden von Sternen wie Diamanten funkeln. Welch ein Geschenk. Ein Gottesgeschenk, wer auch immer und was auch immer Gott ist. Aber diese Augenblicke sind unbeschreiblich, unfassbar berauschend und unvergleichlich besser als jedes Feuerwerk, was ich je im Leben gesehen habe. Wobei ich nicht vergleichen möchte und man die Polarlichter mit Recht beleidigt wären, würde man sie mit einem menschlichen Feuerwerk vergleichen. Wir laufen den langen Strand entlang, lauschen den Wellen, blicken in einen Sternenhimmel, den es wegen der Lichtverschmutzung nur noch selten auf unserer Erde gibt. „Ohhh!“, rufe ich erschrocken, als uns während einer Aufnahme der Ausläufer einer Welle über die Schuhe schwappt. „Ha, ha, ha!“, lachen wir darüber, als wäre es ein Scherz, den sich Mutter Natur mit uns erlaubt hat. Vergnügt verlassen wir den Strand, klettern zur Straße hoch, stellen das Stativ auf und fotografieren uns auf dem Asphaltstreifen, der sich in der Finsternis der Nacht verliert. „Ja, so ist gut. Das sieht super aus. Mach das noch mal. Und jetzt schau in den Himmel. Schalt die Stirnlampe an. Super! Perfekt!“, feuern wir uns gegenseitig an. Das langsam lauter werdende Motorengeräusch kündigt ein Auto an. Plötzlich kommt es um die Kurve, zerteilt mit seinen Scheinwerfern, die Nacht, spaltet die Straße, heult auf, rauscht an uns vorbei bis die Rücklichter den vorher gespaltenen Asphaltstreifen mit roter Lava füllen, so sieht es zumindest für einen Bruchteil einer Sekunde aus. Es ist eine Nacht der Superlative, eine unvergessliche Nacht, in der wir zum ersten Mal in unserem Leben mit dem kosmischen Lichterspiel einer fremden Welt konfrontiert und beschenkt werden. So vergehen die Stunden. Es gibt keine Müdigkeit, denn unsere Sinne sind aufgepeitscht und schreien vor Glück. Immer wieder stelle ich die Kamera auf. Beim Tragen des Stativs spüre ich nicht mehr die Stativbeine, die sich mit ihrer Kälte in meine Hände brennen. Ich spüre nicht, wie meine Hände und Finger langsam taub werden, wie das Gefühl immer mehr verschwindet. Nachts um 3:30 Uhr wird das Lichterspiel über unseren Köpfen langsam weniger. Wir wollen nicht gehen, obwohl es vernünftig wäre, bis Tanja mich aus meiner Trance erweckt und andeutet, zurück zur Terra zu wollen. „Okay“, sage ich beschwingt, als hätte ich einen kleinen Rausch. In der Terra beginnen meine Hände plötzlich zu prickeln. Es wird stärker und stärker, fast unerträglich. Dann beginnen meine mittlerweile feuerroten Hände zu jucken, als hätte ich sie in einen Ameisenhaufen gesteckt. „Ich glaube, ich habe mir die Hände erfroren“, sage ich wieder nüchtern geworden. „Mach doch bitte keine Scherze.“ „Nein kein Scherz, aber es ist nicht schlimm“, sage ich sie lauwarmes Wasser haltend, um sie wieder aufzutauen. Eine halbe Stunde später hört der Juckreiz zum Glück wieder auf. Wir liegen im Bett und können nicht schlafen, so aufgewühlt sind wir. Noch immer sind wir vom Glücksrausch beseelt. Uns ist absolut bewusst, was wir erleben durften, wie beschenkt wir wurden, und ich bin mir sicher, diese Nacht als unvergessliches Erlebnis mit ins nächste Leben zu nehmen…

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