Deutschland und Ukraine sind Freunde
N 46°40'03.5'' E 032°35'18.2''Nach einer angenehmen Nacht radeln wir durch den Berufsverkehr der Stadt Mykolaiv. Die eiserne, entsetzlich stinkende Autoschlange wälzt sich über eine breite Brücke eines Meeresarms. Wir nutzen den Gehweg, der gerade breit genug für unsere Anhänger ist. Angler stehen auf dem hohen, von dem schweren Lastwägen rumpelnden Stahlübergang, und halten ihre Routen ins etwa 40 Meter unter uns befindliche Nass. Wir nehmen uns die Zeit, um ihnen ein wenig zuzusehen. “Kommt doch mal her”, winkt uns ein alter Mann zu sich. Wir begrüßen ihn und beantworten seine Fragen. “Aus Deutschland seid ihr? Da war ich drei Jahre stationiert. In Leipzig. Ist ein wunderschönes Land”, sagt er als plötzlich ein Fisch anbeißt. Aufgeregt kurbelt er einen etwa 15 Zentimeter kleinen Fisch nach oben. Er steckt ihn zufrieden in eine Plastiktüte. Dann reicht er Tanja die Angel. “Probier es aus. Vielleicht hast du ja auch Glück”, lächelt er. Andere Angler sehen zu uns herüber und auf einmal sind wir ein Teil dieser eigenwilligen Szene. Die alten Männer winken uns freundlich hinterher als wir unseren Weg durch die Stadt fortsetzen. Wir müssen 14 Kilometer fahren bis wir das hektische Treiben hinter uns lassen. Dann werden wir an einem Eisenbahnübergang von einer Schranke gestoppt. “Sportsmann, ha, ha, ha. Das ist gut. Ich bin auch ein Sportsmann”, sagt ein älterer Herr der neben Tanja mit seinem Fahrrad hält und sie in ein Gespräch verwickelt während ich den vorbeiratternden Güterzug filme.
Gegen Mittag wird es wieder relativ heiß. Als würde uns ein Drache sein Feuer entgegen speien, müssen wir heuten den gesamten Tag gegen den Wind radeln. Schwitzend legen wir eine Rast ein und kaufen uns in einem Laden Wasser. Als wir den Laden verlassen kommt uns die Besitzerin mit einer Flasche Wasser hinterher. “Die hat der Lastwagenfahrer dort drüben für euch ausgegeben”, deutet sie auf einen davoneilenden Mann. Wir haben nicht mal die Gelegenheit uns zu bedanken als er hinter einer Häuserecke verschwindet. “Seltsam”, meine ich verwundert. “Ja, warum macht er so etwas?”, fragt sich Tanja. Dann strampeln wir weiter. Wieder geht es vorbei an toten Hunden, Katzen und anderen Tieren die nicht rechtzeitig vor den alles fressenden Reifen ausgewichen sind. Manchmal ist ein Kadaver von der Sonne so aufgeblasen das er riesig groß aussieht. Es stinkt schon von weitem. Mittlerweile vermeide ich es auf die oftmals klaffenden Wunden und herumliegenden Gedärme zu blicken. Ich wende meinen Kopf zur Seite. Will von dieser entsetzlichen Realität nichts wissen. Plötzlich liegt ein umgekippter Transporter im Straßengraben vor uns. Seine Ladung ist überall verstreut. Menschen glauben sie zusammen. Polizei steht am Straßenrand und scheint die Aktion zu sichern. Wir halten für ein Foto. “Kommt doch her! Macht ein Foto von mir!”, ruft der Polizist. Da uns Polizisten im Allgemeinen nicht richtig geheuer sind lehnen wir dankend ab und setzen unseren Weg fort. Stunden später kontrollieren zwei Ordnungshüter den Verkehr vor uns. Ich erkenne den Gesetzeshüter von vorhin wieder. “Kommt doch! Macht doch ein Foto von mir!”, ruft er uns wieder zu. Damit wir über die stark befahrene Straße zu ihm queren können stoppt er den Verkehr mit seiner Kelle. Dann hält er Tanjas Rad, legt seinen Arm um meine Schulter und lächelt sichtlich erfreut in Tanjas Kamera. “Deutschland und Ukraine sind Freunde. Zeigt das Bild in eurem Land”, bittet er uns als wir weiterfahren. Die Sonne steht schon tief als wir nach knapp zehn Stunden und 75 Kilometern in der Stadt Kherson unsere müden Körper ausruhen und füttern dürfen.