Der Tag der über meine Zukunft entscheidet
N 44°26'48.2'' E 026°03'41,6''Geschehnisse vom 06.07.2006
Das Warten auf die Operation zieht sich schrecklich in die Länge. Um 14.00 Uhr erscheinen plötzlich Dr. Balteanu und ein anderer Arzt. “Und? Wie geht es ihnen?”, fragt Dr. Baltateanu gut gelaunt. “Na ja, ich würde sagen den Umständen entsprechend.” “Keine Bange. Morgen können sie laufen und übermorgen nach Hause fliegen. Übrigens, das hier ist mein Assistent Dr. Sandu. Er ist auch ein erfahrener Chirurg. Sie sind also in besten Händen. Also dann, bis gleich”, sagt er im Hinausgehen fröhlich als würden wir uns zum Kaffeekränzchen verabreden.
Endlich kommen die Schwestern ins Zimmer, begrüßen uns freundlich und schieben mein Bett und mich in den Aufzug. Ich bibbere vor Aufregung, denn ab jetzt gibt es keine Möglichkeit der Umkehr. “Hier dürfen sie nicht mit hinein”, stoppen die OP-Schwestern Tanja am Eingang zum OP-Saal. Durch einen Bewegungsmelder ausgelöst öffnet sich die Schiebetür. Das Bett setzt sich in Bewegung. Die Tür schließt sich automatisch und trennt Tanja von mir. Es ist ein verdammt eigenartiges Gefühl auf einmal allein zu sein. Bange Gedanken bestürmen mich. Haben wir die richtige Entscheidung getroffen? Wache ich in ein paar Stunden als gesunder oder gelähmter Mann auf? Oh weh, oh weh, was für eine beschissene Situation. Plötzlich öffnet sich die Automatiktür wieder. Tanja steht davor und blickt mich mit einem sichtlich gequälten Lächeln an. Wir wissen beide was auf dem Spiel steht und in diesem Augenblick gibt es keine Beherrschung mehr. Tränen strömen. Tanja hebt noch mal die Hand zum Gruß und verschwindet wieder hinter der zugehenden Tür. Die Situation ist für einen Außenstehenden kaum zu beschreiben aber die Chancen auf einen Fehlschlag der OP machen uns beide fertig. “Bleiben sie ruhig. Sie brauchen doch keine Angst zu haben. Lassen sie ihre Frau da draußen. Ihr geht es gut und ihnen geht es in ein paar Stunden auch wieder gut”, tröstet mich eine grünes, weibliches Wesen mit freundlicher Stimme. Dr. Baltateanus Augen lächeln mich durch seinen Mundschutz zuversichtlich an. Eine Schwester piekt an meinem linken Arm herum und versucht anscheinend verzweifelt eine dicke Nadel in eine Ader an meiner Hand zu stechen. Es tut weh als sie das dritte Mal ansetzt aber meine Gedanken sind wo anders. Ich merke nicht mehr wie mir das Licht ausgeschaltet wird.
“Mister Katzer!” Hallo Mister Katzer! Hören sie mich?”, dringt eine Stimme von ganz weit weg in mein Bewusstsein. Ich versuche zu antworten, doch es gelingt nicht. “Mister Katzer!”, schwebt es wieder durch eine schlammige Wand aus flüssiger Luft. “Ja”, schleicht sich das Wort aus meinem Mund. “Es ist vorbei. Bewegen sie ihre Beine!”, sickern die Worte in mein Bewusstsein und zerschneiden auf einmal die wabernde Wand. Sofort beginnen die Gehirnzellen zu arbeiten, setzen mich in Alarmbereitschaft und geben den Befehl an die Beine. Sie reagieren unvermittelt. Auch meine Zehen wackeln nach Befehlserteilung munter auf und ab. Ein warmes Gefühl der Freude durchdringt meinen Verstand. Ich ziehe vorsichtig den rechten Fuß hoch, dann den Linken. “Die Schmerzen sind weg”, flüstere ich im Delirium der Anästhesie. “Ja, die Operation ist sehr gut verlaufen”, sagt die Stimme.
Stunden später werde ich in der Intensivstation wach. Ich höre einige Geräte piepsen. “Hallo mein Schatz”, formt ein wunderschöner Mund mir sehr vertraute Worte. Tanja sieht mich mit glücklichen Augen an. “Alles klar?” “Ja”, antworte ich, bewege wieder meine Beine und kann es kaum fassen. “Die Schmerzen, die Schmerzen sind weg”, freue ich mich und wieder durchströmt mich ein Glücksgefühl der Superlative. “Ja, deine Operateure haben einen tollen Job vollbracht. Knapp 3 Stunden mussten sie operieren.” “Was? So lange?” “Ja, Dr. Baltateanu berichtete mir, dass er in all den vielen hundert Operationen, die er bisher durchführte, noch nie so einen Fall wie dich hatte.” “Wieso? Ist was schief gelaufen?” “Nein, alles in Ordnung. Nur muss der Schlag in deinem Rücken so stark gewesen sein, dass es Einzelteile deiner Bandscheibe in den Rückennerv geschleudert hat. Der Nerv war penetriert mit vielen kleinen Splittern. Sie haben alles rausgeholt. Nichts vergessen. Er sagte, jetzt weiß er warum du unter solch schrecklichen Schmerzen gelitten hast. Wir haben uns mit der OP hier in Rumänien richtig entschieden. Hätten wir es zu spät gemacht, wärst du höchst wahrscheinlich tatsächlich im Rollstuhl gelandet. Aber mach dir keine Sorgen. Hier sind, mit dem Verlauf des Eingriffs, alle recht zufrieden”, lausche und staune ich Tanjas Worten. Ich versuche ihr Lachen zu erwidern und falle wieder in einen tiefen Schlaf.