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Rumänien/Harsova

Der erste harte Tag

N 44°41'27.1'' E 027°56'26.9''

Weil wir mit einem Fernsehsender einmal im Monat ein Interview vereinbart haben müssen wir heute unsere ersten Filmaufzeichnungen nach Deutschland schicken. Damit das Päckchen auch wirklich ankommt und auf dem Weg nicht einfach verschwindet wollen wir es per Speedpost oder Kurier senden. Deshalb suchen wir vor der Weiterfahrt gleich am Morgen das Postoffice. Ein freundlicher Mann, der ohne Punkt und Komma Rumänisch mit uns spricht, zeigt uns wo wir das Office finden. Ohne jegliche Sprachkenntnisse ist es eine echte Herausforderung ein Eilpäckchen aufgeben zu wollen. Wir stellen uns in die wartende Menschenschlange vor einem Schalter. Als wir dran sind zeigt die Beamtin kommentarlos auf ihre Kollegin nebenan. “Muzomes”, bedanken wir uns, und prahlen so mit unserem Rumänisch. Dann stellen wir uns in die andere Schlange. Als wir etwas später unsere Köpfe durch den kleinen Glaskasten stecken dürfen zuckt die Dame mit den Schultern und spricht irgendetwas von einem Chefo. Tatsächlich kommt der Post-Boss. Mit prüfendem Blick betrachtet er die Filmkassette. Er dreht und wendet das kleine Ding hin und her. Seine Stirn legt sich in Falten und uns ahnt nichts Gutes. Nach einiger Überlegung gibt uns der Mann ein Formular welches wir ausfüllen sollen. “Also ich weiß nicht ob das gut geht”, sage ich. “Meinst du wir sollen die Aktion abbrechen? Wenn nichts dazwischen kommt können wir die Kassette auch von Konztansa schicken. Es wird zwar knapp aber sie könnte noch rechtzeitig zu unserem Interview in Deutschland sein.” “Hm, das Formular sieht ja recht professionell aus. Lass es uns versuchen”, sage ich zuversichtlich. Nachdem Tanja alles korrekt ausgefüllt hat geben wir das Formular und die Minikassette stolz dem Boss. Wieder legt sich seine Stirn in Falten, noch schlimmer als vorher. Tanja hat Filmtape als Inhalt angegeben. Das hätte sie nicht tun sollen da mit diesem Eilpäckchen nur Formulare erlaubt sind. “Hm, dann geben sie uns doch bitte noch ein Formular. Dann können wir ja Dokumente ankreuzen”, bittet sie den Mann. “No Formular”, sagt er bedauernd den Kopf schüttelnd. Wir verstehen nicht, doch dann wird klar das er nur ein einziges Formular besitz. So schnell hat sich unser Wille ein Eilpäckchen wegschicken zu wollen in Luft aufgelöst.

Gegenwind

Guter Dinge sitzen wir wenig später auf unseren tollen Rädern und lassen sie durch die Stadt schnurren. Am Ende der gräulichen Häuser geht es in einem weiten Linksbogen über eine Brücke. Plötzlich bläst uns starker Wind entgegen. Leider keine einzelne Böe, sondern richtig anhaltender Dauerwind. Wir strampeln was das Zeug hält und kommen nur sehr langsam voran. Nach 20 Minuten frischt der Wind auf und bremst uns auf ca. acht bis zehn Stundenkilometer herunter. Es ist furchtbar anstrengend unseren Lastenberg voran zu bringen. Unsere Oberschenkel beginnen sich zum ersten Mal aufzublasen. Schnell ist meine gute Laune vom Winde verweht. Immer wieder müssen wir anhalten, um uns auszuruhen. Wäre da nicht das dumme Autobahnstück würde uns dieser Wind eher in den Rücken blasen. Jetzt, durch den Umweg, führt uns die Straße die nächsten 62 Kilometer nach Norden anstatt nach Osten. Schicksal. Ein Pferdekarren trabt von hinten heran und überholt uns. Sobald der Reiter sein Fuhrwerk an uns vorbeigeschleust hat wird er langsamer. Das haben wir in letzter Zeit schon öfter festgestellt. Egal ob Radfahrer oder Pferdefuhrwerke, die Menschen wollen uns immer überholen. Wäre ja kein Problem wenn sie nicht nach ihrem erfolgreichen Überholvorgang plötzlich langsamer werden würden und wir gezwungen sind wieder an ihnen vorbeizuziehen, um unseren Rhythmus nicht zu verlieren. So geht das meist ein paar Mal hin und her bis die Menschen genug von uns gesehen haben und hinter uns verschwinden als wären sie nie da gewesen. Diesmal ist es allerdings anders. Der Mann lenkt seinen Pferdekarren knapp vor mein Vorderrad auf die rechte Seite. Er wird langsamer aber nicht so langsam das wir vorbeikommen. “Auch gut”, denke ich mir. “Dann nutzen wir ihn eben als Windschatten.” Gesagt getan zuckeln wir mit etwa 12 Kmh hinter den mit Heu beladenen Wagen. Sein Lenker dreht sich plötzlich um und versucht mit mir eine Kommunikation aufzubauen. Leider spricht er nur Rumänisch und ich verstehe nur Spanisch. “Konstanza? Konstanza?”, fragt er dann im Stenogrammstil. “Da, Konstanza”, schnaufe ich durch die Anstrengung des Strampelns gegen den Wind bis aufs äußerste gefordert. Die Antwort scheint unserem Windschattenspender zufrieden zu stellen denn plötzlich verlangsamt sich das holpernde Fuhrwerk. Tanja und ich heben zum Gruß die Hand, geben Gas und ziehen vorbei. Wieder in unserem Rhythmus kämpfen wir uns gegen die Windfront voran. Doch nur Minuten später wird das Hufgetrappel hinter uns lauter, kommt näher und überholt uns. Der Mann unter seinem breiten Hut grinst uns zufrieden an. Dann lenkt er sein altertümliches Gefährt wieder kurz vor meinen Reifen und wird, wie soll es anders sein, langsamer. Aber nicht zu langsam, wohl gemerkt. “La Mare, he? La Mare?” “Da, wir fahren ans Meer”, antworte ich freundlich und laut hechelnd. Wieder scheint er zufrieden und lässt uns überholen. Gerne würden wir noch einen Tick schneller fahren, um einem erneuten Überholmanöver entfliehen zu können, doch unsere Kraft lassen solche Späße nicht zu. Wir treten in den Wind, schnaufen, hecheln und ehrlich gesagt Fluche ich ganz leise vor mich hin als das Pferdegetrappel hinter uns lauter wird. Erneut legt sich der Formular Eins Fahrer des rumänischen Pferdefuhrwerkverbandes ins Zeug, treibt seine arme Zugmaschine voran und sprintet an uns vorbei. Das Gesicht unter dem breiten Hut lächelt freundlich. “Mamaia? Mamaia? Konstanza? La Mare?”, höre ich. “Da”, antworte ich hustend. Von meinen Sprachkenntnissen offensichtlich motiviert plappert der Wagenlenker plötzlich ungehemmt drauf los. Er deutet nach links, nach rechts. Ich verstehe Bahnhof. “Da”, entschlüpft es aus Versehen meinen Lippen und jetzt legt sich unser Reiseführer richtig ins Zeug. Mir wird ganz schwindelig bei seinem Wortschwall. Der kleine Hund, der mitten auf dem Heu in der prallen Sonne döst, öffnet ein Auge. Ich bekomme das Gefühl nicht los als würde er mich mitleidig betrachten. Ich bin gerade im Begriff aufzugeben und anzuhalten, um unseren rumänischen Meistererzähler davon traben zu lassen, als er ganz unverhofft wieder so langsam wird das wir überholen müssen. Diesmal sieht es so aus als wäre seine Neugierde endgültig befriedigt, denn er fällt tatsächlich weit zurück, zu weit um uns noch mal einzuholen.

Bedrohliches Schwarz und Windsog

Nach ca. 38 Km gegen den starken Wind erreichen wir eine große Straßenkreuzung. Ein Restaurant lädt uns ein unsere leeren Energietanks zu füllen. Dann sind wir gezwungen die E 60, eine schwer befahrene Bundesstraße, zu nutzen. Nun haben wir nicht nur Gegenwind sondern auch noch Schwerlastverkehr. Den kennen wir noch von Serbien. Auf der vierspurigen Verkehrsader gibt es offensichtlich keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Die Autos fliegen in einem Höllentempo an uns vorbei. Zum Glück besitzen unsere Räder diesmal Rückspiegel. So sind wir in der Lage rechtzeitig zu sehen was da hinter uns angebraust kommt. Auf der Etappe Eins mussten wir uns ständig umdrehen. Bei den schwer beladenen Räder ist das recht gefährlich, weil sie dadurch nicht selten ins Schwanken geraden und wir nicht nur einmal die Kontrolle verloren und in den Straßengraben geschossen sind. “Iiihhhuuuummm! Iiihhhuuuummm! Iiihhhuuuummm!” rauschen die Lastwägen an uns vorbei. Der Windsog ist so stark das mein Rad ein wenig in die Straße gedrückt wird. Adrenalin pumpt sich plötzlich durch den Körper. Die Alarmlampe gehen an. Vorbei ist die gemütliche Landstraße. Haben wir einen Fehler gemacht nicht den Weg durch die Weinberge entlang der bulgarischen Grenze zu nehmen? Berge wollten wir umgehen und jetzt ernten wir im Gegenzug Gegenwind und Schwerlastverkehr. Was sind schon Berge gegen den gefährlichsten Gegner eines Radfahrers? Habe anscheinend nicht auf mein Gefühl gehört. Oder doch? Sollen wir gerade diese Erfahrungen sammeln? Ach was… Mann, ich bin völlig durcheinander. “Iiihhhuuuummm! Iiihhhuuuummm! Iiihhhuuuummm!” schmatzt es wieder direkt neben uns durch den von der Hitze aufgeweichten Asphalt. Große Reifen rauschen in ihrem bedrohlichen Schwarz dicht an uns vorbei, zu dicht für meinen Geschmack. Tanja klebt wenige Meter hinter meinem Anhänger. Aus Erfahrung haben wir uns geschworen den Lastwägen keine Chance zu bieten zwischen uns einzuscheren. Wir treten als ein einziges Hindernis auf und somit müssen uns die Brummis nur einmal überholen.

Die E 60 wird auf einmal von Leitplanken beschränkt. Dadurch gibt es für uns im Notfall keine Gelegenheit des Ausweichens mehr. Soweit rechts wie es nur geht holpern wir über den schmalen Seitenstreifen. Auch dieser verflüchtig sich womit wir jetzt für jedes Fahrzeug ein Hindernis darstellen. Es führt in eine lang gezogene Kurve. Die Straße hinter uns ist Gott sein Dank frei. Wir sind erleichtert da die Gefahr fast immer von hinten kommt. Fast immer, denn vor uns sehen wir wie ein Lastzug mit Hänger einen anderen Lastzug überholt. “Rechts ran! Anhaaalten!”, brüllt Tanja hinter mir ihr Kommando in den Wind. Auch ohne ihre Aufforderung hätte ich die Notbremse gezogen. Wir drücken uns direkt neben die Leitplanke, soweit rechts wie es der wenige Raum nur zulässt als sich das belcherne Monster schon an uns vorbeischiebt. “Iiihhhuuuummm! Iiihhhuuuummm! Iiihhhuuuummm!”, braust es das der Windsog unsere Körper erzittern lässt. Als der Anhänger vorbei ist atmen wir auf, doch zu früh. Direkt hinter dem Kamikaze folgt sein Kollege. Ein zweiter Lastzug hat sich einfach dran gehängt, um im Windschatten des Ersten den langsameren Lastwagen zu überholen. Als der Fahrer uns dicht gedrängt an der Leitplanke kauern sieht sehe ich für den Blink einer Sekunde sein Augenweiß. Unsere Körper und die Räder erzittern im Luftsog. Unser gesamtes System ist in Wallung. Wut über den Schwachsinn, das sinnlose Überholmanöver und Gedankenlosigkeit explodiert in meinem Kopf. Ein dritter Lastzug folgt dem Zweiten und ein Vierte jagt im völligen Blindflug dem Dritten hinterher. Wir mitten drin. “Iiihhhuuuummm! Iiihhhuuuummm! Iiihhhuuuummm!” hören wir noch und dann ist der Spuk vorbei. So schnell wie er aus dem Nichts aufgetaucht ist ist er urplötzlich wieder verschwunden. Tanja und ich stehen völlig unversehrt am Straßenrand. Mir zittern die Knie. Das Leben in seinem Pulsschlag hat einen kurzen Zucker nach unten gemacht. Nur ganz kurz hat es uns gezeigt wie kostbar, wie schützenswert es ist und wie schön es ist wenn es weitergeht. Kommentarlos schwingen wir uns wieder in den Sattel. In einer Parkbucht, wenige hundert Meter später, halten wir an. Wir sprechen über die Situation, über die Weinbergstraße und unsere Entscheidung. “Es hilft nichts. Hier müssen wir durch. Wie weit ist es noch bis Harsova?”, sagt und fragt Tanja. “Noch 10 Kilometer”, antworte ich.

In einer kleinen Ortschaft pausieren wir wieder kurz im Schatten eines Baumes. Ein Betrunkener gesellt sich zu uns. Er steht zwei Meter neben uns und schielt ab und zu verstohlen herüber. Natürlich nur wenn er meint wir sehen es nicht. Ansonsten versucht er uns zu ignorieren. Als würde er jeden Tag solche aufgeladenen Fahrradrodtrains sehen. Dann nimmt er sich allen Mut zusammen und fragt nach einer Zigarette. “Sorry no smoke”, antworte ich. Es geht weiter. Der Verkehr ist etwas besser. Die Leitplanke ist verschwunden. Das Thermometer zeigt 46 Grad in der Sonne. Auf der Straße gibt es keinen Schatten. Dann führt die Bundesstraße über eine riesige Brücke. Schilder weisen darauf hin, dass man nicht fotografieren darf. Kommen bestimmt noch aus der Zeit des kalten Krieges, aus der Zeit wo man noch nicht per Satellit jede Streichholzschachtel aus dem All identifizieren konnte. Trotzdem, obwohl der Blick von hier oben über die Donau fantastisch ist, fotografiere ich nicht. Wer weiß ob das mit den Satelliten hier jedem Polizisten bekannt ist. Und wenn, wir haben davon gehört das Polizisten in Rumänien gerne mal die Hand aufhalten. Am Höhepunkt der Megabrücke geht es für ein paar hundert Meter bergab. Wir lassen unsere Züge in das Tal rauschen. Der Fahrtwind trocknet den Schweiß. Unten angekommen erreichen wir eine Mautstation. Alle Fahrzeuge müssen anscheinend für die Brücke berappen. Eine Frau im Glashaus winkt uns freundlich vorbei. Maut gilt anscheinend nicht für Fahrräder. Plötzlich ist vor uns eine Straßenblockade. Alle Fahrzeuge werden von einem Polizeiaufgebot kontrolliert. “Gut, dass ich keine Fotos gemacht habe”, geht es mir durch den Kopf. Ein Polizisten winkt uns freundlich zu während ein anderer überlegt ob er uns anhält. Wir winken zurück. Machen erst gar nicht den Eindruck als würden wir halten und sind durch. Der Wind bläst uns jetzt Gott sei Dank in den Rücken. Wir brausen dahin. Keine Leitblanke macht uns das Leben zur Hölle. Dann nach ca. acht Stunden erreichen wir die nächste grottenhässliche Stadt namens Harsova. Vorbei geht es an Wohnviertel die derart heruntergekommen sind das mir die Worte fehlen um sie zu beschreiben. Ich frage nach einer Übernachtungsgelegenheit. Fluchend kehren wir um. Wir sind zu weit geradelt. In so einer Lage ist jeder Meter zuviel kaum noch zu verkraften. Wir sind fix und foxi. Total kaputt. Ich frage in dem Motel nach einem Zimmer. “No Camero”, schockt mich die unfreundliche Stimme. “Es gibt kein Zimmer. Alles ausgebucht”, beichte ich Tanja. “Hm, das heißt weiterfahren und unser Zelt irgendwo im Feld aufschlagen”, sagt sie sichtlich angeschlagen. “Keine Ahnung. Ich soll gegenüber noch mal fragen”, antworte ich. Als wären meine Weichteile auf Elefantengröße gewachsen laufe ich breitbeinig über die Straße. Meine Beine fühlen sich wieder wie Säulen an. “Ja wir haben ein Zimmer”, durchströmt mich die erleichternde Antwort. “Ihre Räder können sie in der Garage da hinten abstellen. Wir werden sie heute Nacht verriegeln. Sie sind dort absolut sicher”, meint der Manager, der einfachen Behausung in verständlichem Englisch.

Bei 45 Grad in der Sonne schleppen wir unsere Ausrüstung in das kleine, sehr hässliche Zimmer. Die Toilette befindet sich direkt neben den zwei Betten, die zum einzigen Mobiliar gehören. Es gibt keine Tür die den Raum von der Schüssel trennt. “Immerhin besser als weiterfahren”, meint Tanja. “Stimmt”, antworte ich wortkarg. Nachdem ich die Räder in die Garage gerollt, auf Mängel überprüft und dann abgesperrt habe, setze ich mich auf die Terrasse. Ich bestelle mir ein kühles Bier und schreibe über den Tag. Als ich mit meiner Arbeit fertig bin genießen wir den Abend. Wir sprechen über unsere Erlebnisse und sind froh hier heile angekommen zu sein.

Die Nacht entwickelt sich für uns beide zur Sauna. In unserer Unterkunft ist es furchtbar heiß. Gut über 30 Grad. An Schlaf ist kaum zu denken. Dafür gibt es Moskitos. Das Fenster ist nur 25 × 25 Zentimeter groß. Wahrscheinlich damit keiner einbrechen kann. Deshalb können wir auch nicht die Zimmertür öffnen um uns Erleichterung zu verschaffen. Die nahen Slums und das Gegröle auf der Straße lassen uns davor zurückschrecken. Ein durchaus harter Tag, dieser Tag.

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