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AUFGELADEN zu den Polarlichtern im hohen Norden - 2020

Dem Wahnsinn nahe

N 58°16.04.7’’ E 008°31’17.7’’
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    Datum:
    20.08.2020 bis 21.08.2020

    Tag: 018 – 019

    Land:
    Norwegen

    Ort:
    Leuchtturm Homborsund

    Tageskilometer:
    84 km

    Gesamtkilometer:
    2073 km

    Sonnenaufgang:
    05:54 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:04 Uhr

    Temperatur Tag max:
    20°

    Temperatur Nacht min:
    16°

    Aufbruch:
    15:30 Uhr

    Ankunftszeit:
    21:00 Uhr

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

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„Was ist das für ein Geräusch“, frage ich mich im Halbschlaf. „Regen“, diagnostiziere ich das Prasseln auf unserer Kabine. „Was hast du gesagt?“, fragt Tanja, die ebenfalls im Begriff ist aufzuwachen. „Regen. Seit unserem Aufbruch von Deutschland der erste Regen“, antworte ich. „Zum Glück liegen wir nicht im Zelt“, meint Tanja, mich an die vielen Regenwochen in Russland und Sibirien erinnernd, als wir das Land mit unseren Fahrrädern durchquerten. „Ja, und gut, dass keine Millionen Moskitos um uns herumschwirren“, freue ich mich. „Erinnere mich nicht daran. Nur wenn ich daran denke, könnte ich mich überall kratzen“, meint Tanja gähnend. „Und die unzähligen Zecken. Die warten jetzt alle vor der Tür, aber wir lassen sie nicht rein“, scherze ich.

Bevor wir losfahren, schreibe ich zwei Texte und suche die passenden Bilder dazu heraus. Dann brechen wir auf, um ein Fast Food-Restaurant zu finden, indem wir das WLAN nutzen können. „Dort in dem Einkaufszentrum ist eines“, navigiert mich Tanja. Ich finde einen Parkplatz, packe meinen Laptop, die neue Festplatte und das Netzkabel. Das Restaurant ist schlecht besucht, der Boden klebt, die Toiletten sind schmuddelig und die Atmosphäre nicht sehr angenehm. „Schon interessant, wie unterschiedlich diese Restaurants sind, eines ist blitzblank sauber und dieses macht keinen guten Eindruck“, stelle ich fest. „Möchtest du einen Cappuccino?“, fragt Tanja. „Gerne“, antworte ich, schließe den Laptop an der Steckdose unter dem Sitz an, fahre ihn hoch und logge mich in die freie WLAN ein. Der Rechner lädt sich ein paar Updates herunter, als Tanja wiedererscheint und den Cappuccino auf den Tisch stellt. „Danke“, sage ich, greife nach dem Pappbecher, bleibe mit meinem Daumen unglücklich am Becherrand hängen und der dunkelgelbe, heiße Sturzbach ergießt sich über den Tisch, auf dem mein Laptop steht, auf mein Hemd und die Hose. „Scheiße!“, fluche ich aufspringend und den Laptop vor der gefährlichen Flut rettend. „Hat er was abbekommen?“, ist Tanjas erste Reaktion. „Ich glaube, diesmal hatten wir Glück“, antworte ich mit pulsierendem Herzschlag an das Desaster denkend, als vor zwei Wochen Ajaci mit seinem Schwanz im Stromkabel des Laptops hängen blieb und dabei alles vom Tisch riss. „Hi, hi, hi, du solltest nicht in deinem Cappuccino baden, sondern ihn trinken“, scherzt Tanja erleichtert. „Ha, ha, sehr witzig“, reagiere ich etwas säuerlich, mir die Sudelei von Hemd und Hose wischend. Einer der Angestellten wischt rudimentär den Tisch, den Boden und die Sitze, dann nehme ich wieder Platz. „Hoffe, das Zeug geht wieder raus?“, frage ich auf Hemd und Hose deutend. „Ich hoffe auch. Soll ich dir einen Neuen holen?“, fragt Tanja. „Gott bewahre. Jetzt habe ich erst mal die Nase voll.“ Ich beginne mit damit ein paar Zeilen in den Laptop zu tippen. „Ist das ihr Fahrzeug da draußen?“, fragt mich plötzlich ein etwa 30-jähriger, nach vorne gebeugter Mann in abgerissener Kleidung. „Ja“, antworte ich knapp, weil ich keine Lust auf einen Small Talk verspüre. „Sie kommen aus Deutschland?“ „Ja kommen wir.“ „Die haben die Grenzen wieder dichtgemacht. Deutschland ist wieder auf der roten Coronaliste. Wussten sie das?“, fragt er einen Hustenanfall bekommend. Weil der schräge Vogel Tanja in den Nacken hustet, steht sie sofort auf und setzt sich an einem anderen Platz. „Entschuldigen sie, aber ich bin gerade online“, sage ich, um jegliche weitere Kommunikation zu unterbinden. „Was haben sie für Reifen auf ihrem Expeditionsfahrzeug?“, fragt er eine Minute später von Husten begleitet, sich seinen Hamburger und Fritten in den Mund steckend. Piep, piep, piep ertönt es aus der Küche unaufhörlich, während ich genervt versuche, meinen Gesprächspartner loszuwerden. „Und sie fahren zum Nordkap?“ Piep! Piep! Piep! Hust! Hust! „Ich war noch nie dort oben, aber es soll schön sein.“ Piep! Piep! Piep! Hust! Hust! „Im Winter können sie Polarlichter sehen.“ Piep! Piep! Piep! Hust! Hust! „Ich war aber schon mal auf Lofoten.“ Piep! Piep! Piep! Hust! Pust! „Entschuldigung, aber ich muss arbeiten“, versuche ich geduldig zu bleiben. Piep! Piep! Piep! Hust! Hust! „Ich werde wahnsinnig“, höre ich mich selbst reden. Meine Schuhe machen schmatzende Geräusche auf den klebrigen Boden unter mir, der Sitz neben mir glänzt mit braunen Cappuccinoflecken, meine Hose und Shirt sind eventuell unrettbar eingefärbt und ich sehne mich nach unserer Terra. „Lass uns gehen“, sage ich zu Tanja, die zwei Tische von mir entfernt sitzt.

Knappe hundert Kilometer weiter parken wir mit einem weiteren Wohnmobil auf einem von Bäumen umgebenen idyllischen Fleckchen Erde. Am nächsten Tag unternehmen wir wieder eine Wanderung an der windigen, mit Heidekraut bewachsenen Felsküste. Unser Ziel ist der Leuchtturm Homborsund Fyr, einer der einst 212 Leuchttürme an der 83.000 Kilometer langen norwegischen Küste. Am Ende der Landzunge entdecken wir den Homborsund Fyr auf der vorgelagerten kleinen Felseninsel Store Grønningen. „Ob der noch besetzt ist?“, fragt Tanja neben mir auf einem rauen Felsen sitzend. „Falls er noch in Betrieb sein sollte, glaube ich nicht, dass dort noch Leuchtturmwärter wohnen. Er ist wie die meisten anderen auch bestimmt automatisiert worden“, antworte ich. „Muss schon ein sehr einsames Leben gewesen sein“, meint Tanja auf die im aufgewühlten Meer verloren wirkenden Gebäude deutend. „War bestimmt ein einsames Leben. Die Menschen hatten jedoch keinen Stress. Apropos, der Wohnmobilfahrer auf unseren Parkplatz hat mir erzählt, dass der Turm von Ende Juni bis Anfang August bewirtet ist. Vielleicht kann man in dieser Zeit ein Zimmer mieten“, überlege ich. „Wäre ein guter Platz, um ungestört dein nächstes Buch zu schreiben.“ „Ich liebe es zwar ruhig, aber ich glaube, das wäre mir ein wenig zu ruhig. Außer du wärst mit mir auf der Insel.“ „Ich war mit dir schon an so vielen einsamen Plätzen. Wie du weißt, würde das mir nichts ausmachen. Hauptsache, ich habe genügend zum Stricken dabei.“ „Na das gäbe viele Pullover“, antworte ich lachend…

 

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