Begegnung mit einer Stadt
N 23°21’57.7’’ E 139°39’17.9’’Marion Downs-Camp — 09.09.2002
Um 6:00 Uhr donnert das kleine Flugzeug über die steinige Rollpiste. Es rüttelt und schüttelt uns, bis der Vogel seine Flügel in die Luft streckt. Unter uns breitet sich das trockene, braune Land aus. Mit jedem Höhenmeter wird es weiter und größer. Gebannt sehe ich aus dem Fenster, froh darüber mich jetzt nicht mit unseren Kamelen über die nahezu vegetationslose Fläche arbeiten zu müssen.
Robert hat uns gestern erzählt, dass er nach Mount Isa fliegen muss, um sich den alle paar Jahre vorgeschriebenen Flugtest zu unterziehen. „Oh, darf ich mit, ich könnte eine Abwechslung gut vertragen,“ sagte ich freudig. „Wenn du Lust hast, sehr gerne,“ antwortete er und so kommt es, dass ich jetzt in dem Cessna sitze.
Es ist ein seltsames Gefühl jetzt aus der Höhe die vielen sich windenden Tracks, kaum sichtbaren Rinderherden, winzigen Dämme, Windräder und sich weit verzweigten ausgetrockneten Creeks zu sehen. Kaum zu glauben, dass wir dort unten für so viele Monate überlebt haben. Von hier oben sieht die von der Sonne todgebrannte Landschaft bald noch lebensfeindlicher aus als wenn man sich in ihrem Schoß befindet.
Wir haben schon eine weite Strecke zurückgelegt als der riesige, rotglühende Sonnenball sich über die Horizontlinie hebt. Warme, kräftige Strahlen treffen das kleine Fenster an dem mein Gesicht klebt. Schlagartig erglüht die rote Erde. Hügel und Berge werfen ihre langen, grotesken Schatten auf das ihnen zu Füßen liegende Land. Die Temperatur, in der vom Motorenlärm dröhnenden Kabine, nimmt mit dem höher Steigen der Sonne zu.
Die Zeit hier oben scheint ebenfalls im Flug zu vergehen. Schnell haben sich die Zeiger der Uhr um zwei Stunden weitergedreht und wir sehen die ersten Anzeichen menschlicher Zivilisation.
Ein aufgestauter Fluss bildet in einem Bergtal einen See. „Das ist eines der Trinkwasserreservate von Mount Isa,“ ruft Robert den Motorenlärm übertönend und nach unten deutend. Nur ein paar Minuten weiter ragt ein hässlicher Schornstein in den Himmel, aus dem ebenso hässlicher Rauch in die klare Morgenluft steigt. Er befindet sich bald mitten in der Stadt, die auf ihrer Westseite von einer Mine begrenzt ist. Da ich die letzten Monate keine Berührung zu Fabriken und Städten hatte verschlägt es mir beim dem schmuddeligen und geradezu abscheulichen Anblick der Mine fast den Atem. „Was wird denn dort gewonnen?“ ,frage ich Robert. „Ich glaube Zink und Eisenerz.“ „Ist kaum zu glauben, dass sich die Menschen direkt neben der Abbaufabrik Häuser bauen,“ sage ich meinen Kopf schüttelnd. In den Hügeln hinter der Industrieanlage liegt ein See, der mit deren giftigen Abwassern gefüllt ist. Seine Oberfläche sieht wie eine entzündete, eitrige und wuchernde Wunde aus. Der Anblick aus der Vogelperspektive lässt mir regelrecht die Haare zu Berge stehen. „Wenn man da reinfällt, löst sich wahrscheinlich das Fleisch von den Knochen,“ meine ich angewidert.
Nur ca. 16 Kilometer weiter nördlich gibt es einen weiteren See. Die Stadt bezieht ihr Trinkwasser hauptsächlich aus dem Lake Moondarra. Ich kann nur hoffen, dass keine Naturkatastrophe den höher gelegene Giftsee der Mine überflutet. Die Folgen wären fatal. So wie es von hier oben aussieht würde die Brühe über die Stadt fließen und danach den Trinkwassersee fluten.
Robert setzt den eisernen Blechvogel sanft auf der weite, für Jets gebaute Landepiste auf. Wir rollen bis zu den Hallen in denen die Flugzeuge gewartet werden. „Ich muss hier auf den Mann warten der mit mir den Testflug durchführt. Es wird nicht länger als eine Stunde dauern. Du kannst dich in der Zwischenzeit ja in das Flughafenrestaurant setzen,“ schlägt mir Robert vor. „Gerne,“ sage ich und steige aus.
Auf dem Weg zum Restaurant komme ich an den verschiedensten Servicehallen, einer Tankstelle, der Gepäckabfertigung und anderen Abteilungen vorbei. Keiner fragt mich woher ich komme und so habe ich einen guten Einblick auf die Seite eines Flughafens die man als Fluggast sonst nicht zu sehen bekommt. Endlich finde ich dann durch eine Hintertür den Weg in die Abfertigungshalle. Einige Fluggäste stehen vor dem Abfertigungsschalter. Ich begrüße freundlich einen Sicherheitsbeamten, der sich wundert woher ich komme. Bevor ich mir es in dem Restaurant bequem mache suche ich die Toiletten auf. Ich verspüre plötzlich großen Durst und hoffe dort aus der Wasserleitung trinken zu können. Kaum nehme ich den ersten Schluck, spucke ich die klare Flüssigkeit angewidert aus. „Ihh schmeckt das scheußlich,“ wundere ich mich laut. Noch mal probiere ich von dem Wasser, doch auch diesmal erscheint es mir als nicht trinkbar. Es schmeckt ganz furchtbar nach Chlor und anderen Chemikalien. Schnell verlasse ich den Raum und entdecke zu meiner Freude einen der modernen Trinkwasserspender, den es auf manchen Flughäfen gibt. Man braucht nur auf einen Knopf zu drücken und ein kleiner, kühler Wasserstrahl plätschert aus dem dünnen Rohr. Freudig, jetzt meinen Durst stillen zu können, halte ich meinen Mund über den Strahl und nehme einen Schluck. „Igitt ist das scheußlich,“ pruste ich und spucke das ungenießbare Zeug wieder aus. Ich kann es kaum glauben aber auch dieses Wasser schmeckt genauso wie auf der Toilette.
Mir wird bewusst, dass die Menschen hier in der Stadt jeden Tag Wasser trinken, welches derart mit Chlor und Fluorit versetzt ist, das es nichts mit dem klaren, köstlichen Wasser des Outback zu tun hat. Schockiert über die Erkenntnis, wie wir Menschen uns an solch einen verdorbenen Mist gewöhnen, und uns jeden Tag davon ernähren, schüttle ich den Kopf und kaufe mir für knapp 3 Dollar ein winziges Fläschchen mit Orangensaft.
Genüsslich setze ich mich jetzt in einem der Metallstühle vor dem Fastfoodrestaurant. Viele Menschen strömen auf einmal in die Abfertigungshalle. Lautsprecherdurchsagen, das Gemurmel der vielen sich unterhaltenden Fluggäste, die Eile, die Hektik und der Stress der urplötzlich in der Luft vibriert, verwirren mich. Ich bin es nach der langen Einsamkeit nicht mehr gewohnt dieses wilde Treiben zu ertragen und verlasse die Halle. Im Schatten einer Palme finde ich ein paar Tische. Aufatmend die Bedrückung der Halle verlassen zu haben, lasse ich mich, mit meinem kleinen Orangenfläschchen, in den Plastikstuhl nieder.
RECHTE HAND LINKE BRUST
Ich habe ein Buch mitgebracht, um die Wartezeit auf Robert mit Lesen zu verbringen. Doch das Geschehen und Treiben hält mich ab es aufzuschlagen. Geschäftsleute verlassen die Halle, tragen einen Koffer oder ziehen einen Handwägelchen hinter sich her. Manche von ihnen stellen sich an kleine runde Stehtische, greifen sich blitzschnell an die rechte Brusttasche und holen eine Schachtel Zigaretten heraus. Schnell ist der Glimmstängel angesteckt und die Spannung in ihren Gesichtern scheint sich zu lösen. Mobiltelefone klingeln überall und während der Rauch in die Atmosphäre geblasen wird, führen die Menschen Gespräche mit Menschen die ich nicht sehen kann. Eine modern gekleidete Aboriginefrau setzt sich neben mich an den Tisch. Auch sieh sucht nervös in ihrer Handtasche, bis sie eine Zigarettenschachtel herausholt. Hastig steckt sie sich den Tabakstängel in den Mund und entzündet ihn mit einem Feuerzeug. Der Rauch zieht sich durch die Luft und kreist über mir. „Du solltest auf den Doktor hören, wenn du ins Krankenhaus kommst,“ sagt sie zu ihrer Mutter die recht unglücklich aussieht und neben ihr in einem anderen Stuhl kauert. „Wenn sie dich operiert haben geht es dir bestimmt wieder besser,“ lausche ich gezwungenermaßen der Konversation. „Möchtest du auch eine Zigarette Mutter?“ ,fragt sie, worauf die alte Dame müde nickt.
Ein Taxi hält drei Meter neben unseren Tischen. Fahrgäste steigen aus und ein. Der Motor läuft und die Abgase vermischen sich mit dem Rauch der Zigaretten. Plötzlich kreischt es, das mir die Ohren klingeln. Ein Passagierjet landet und seine aufheulenden Turbinen vernichten für kurze Zeit alle anderen Geräusche. Es dauert ein paar Minuten, bis ich den Vogel, der über mir in der Palme sitzt, wieder singen höre. Die Tür des Taxis fällt ins Schloss, der Motor heult auf und das Fahrzeug macht sich davon.
Weitere Menschen verlassen die Flughalle. Mittlerweile bin ich von mindestens 15 Rauchern umringt, die alle zusammen alles geben, um mit ihren Zigarettenrauch die Außenluft noch mehr als vorher zu verschmutzen. Ein Mann bekommt einen Hustenanfall, stütz sich mit beiden Händen an dem runden Stehtisch ab. Es dauert nur ein paar Sekunden, bis er sich Gott sei Dank wieder erholt. Er wirft einen Blick zu mir herüber, greift sich plötzlich an die Brust und für einen Augenblick glaube ich, er bekommt einen Herzinfarkt. Ich atme erleichtert auf als er nur, wie all die anderen, eine Zigarettenschachtel aus seiner Hemdtasche hervorzaubert. Schnell hat auch er seine rauchende Medizin im Mund, um vermutlich damit seinen Husten zu lindern.
Ein schwer schnaufender Mann, der gut und gern 120 Kilogramm wiegt, setzt sich an meinen Tisch. Der Plastikstuhl ächzt verdächtig unter seinem Gewicht. Mit einem weißen Tuch wischt er sich den Schweiß von der Stirn. Sein Gesicht ist von der Anstrengung gezeichnet und beängstigend rot. Kräck! ,ertönt es als er eine Coladose öffnet und sich den Inhalt mit wenigen Schlucken in den Rachen stürzt. Ich warte darauf, dass auch er dann zu seiner rechten Brusttasche greift, doch es geschieht nichts. Es dauert allerdings nicht lange bis sein Mobiltelefon klingelt. Ein griff zur Hüfte und er hat das moderne Kommunikationsgerät in seiner großen, fleischigen Hand. „Ja, bin gerade angekommen. Warte nur auf ein Taxi… Ha, ha, ha, mir geht es blenden,“ lügt er offensichtlich. Und dann geschieht das worauf ich die ganze Zeit gewartet habe. Der Griff zur Brusttasche. Während er den Telefonhörer zwischen seinen Backen und der großen Schulter klemmt, so das es für mich nicht mehr zu sehen ist, fischt er relativ flink eine Schachtel aus seiner Brusttasche. Gewannt öffnet er sie, zieht eine Zigarette heraus und zündet sie an.
Mittlerweile wird mir das Treiben auf dem kleinen Flughafen in Mount Isa etwas viel. Auch mir bricht plötzlich der Schweiß aus. Wie soll ich mich jemals wieder in einer Großstadt zurechtfinden? ,frage ich mich und hoffe sehnsüchtig darauf Robert zu sehen.
„Na wie gefällt es dir in der Stadt?“ ,fragt Robert als er wenig später neben meinem Tisch auftaucht. „Nun, ehrlichgesagt bin ich froh sie so schnell als möglich wieder verlassen zu können,“ antworte ich mit einem gequältem Lächeln. „Ha, ha, ha, mir geht es ähnlich,“ lacht er herzhaft.
Gerne steige ich wieder in den kleinen Flieger und freue mich wenn er sich in die Lüfte hebt. Schnell verlassen wir den Ort, den Menschen ihr Zuhause nennen, und gleiten über das mir vertraute, liebgewonnene, faltige, uralte Gesicht des Outback…