Am größten Gezeitenstrom der Welt
N 67°15'55.9" E 14°43'19.1"Datum:
16.11.2020
Tag: 106Land:
Norwegen
Ort:
Saltfjorden
Tageskilometer:
22 km
Gesamtkilometer:
8056 km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Sonnenaufgang:
09:03 Uhr
Sonnenuntergang:
14:28 Uhr
Temperatur Tag max:
11°
Temperatur Nacht min:
7°
Wind
40 km/h
Aufbruchszeit:
11:30 Uhr
Ankunftszeit:
10:00
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
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Nur 9 Kilometer südwestlich von unserem Camp stellen wir die Terra auf dem vereinsamten Parkplatz des Saltstraumen ab. Da wir vor knapp zwei Monaten auf Lofoten schon mal einen Gezeitenstrom von einer Brücke aus kurz sahen und dort von diesem Ort hier gehört haben, sind wir gespannt, was uns erwartet. Wir nehmen Ajaci an die Leine und folgen dem Fußweg zum stärksten Gezeitenstrom der Welt hinunter.
„Wow“, staunen wir, als das Wasser mit einer irren Geschwindigkeit am Ufer entlangschießt. „Sieht aus wie ein Fluss“, sagt Tanja. „Könnte man meinen. In Wirklichkeit ist es eine 150 Meter schmale und 2,5 Kilometer lange Meerenge, durch die im Wechsel von Ebbe und Flut innerhalb von sechs Stunden ca. 400 Millionen Kubikmeter Wasser vom Saltfjord am Meer und dem Skjerstadfjord im Inland hin und her donnern. Dabei erreicht es die beachtliche Fließgeschwindigkeit von 40 km/h“, erkläre ich. „Pass bloß auf das Ajaci nicht hineinspringt“, warnt Tanja, weil unser Hund liebend gerne schwimmen geht. „Das wäre sein sicherer Tod“, antworte ich auf die mächtigen, gurgelnden Strudel blickend die einen Durchmesser von zehn Meter erreichen und sich unheilverheißend schnell drehen. „Na wer da reinkommt stirbt“, stellt Tanja trocken fest. „So ein Strudel wird selbst ein kleines Ruder- oder Motorboot nach unten ziehen. Da bin ich mir sicher. Nachdem was ich gelesen habe, erreichen sie eine Tiefe von mehr als vier Meter. Gewaltig, einfach gewaltig.“ „Was für ein tolles Naturschauspiel. Gut, dass wir hierhergekommen sind. So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt Tanja, während wir am Ufer der Meerenge entlanglaufen, unsere Blicke vom rauschenden, sich drehenden Strudeln gebannt. Auf unserer Erkundung treffen wir auf einen einsamen Angler, der seine Route in das vorbeiziehende Wasser auswirft. „Ob er da was fängt?“, wundert sich Tanja. „Bestimmt. Diese Ufer sind bei Anglern aus aller Welt begehrt. Das Wasser soll gerade hier besonders nährstoffreich sein und viele Fische anziehen. Auf einer der Hinweistafeln habe ich gelesen, dass hier ein 22,7 Kilogramm schweren Seelachs gefangen wurde. Mit diesem Gewicht war er der größte und schwerste Seelachs der Welt.“
Ein paar Hundert Meter weiter laufen wir unter der ebenfalls beeindruckenden Saltstraumen Brücke hindurch. Sie spannt sich in etwa 40 Meter Höhe über das reißende Gewässer, um die Menschen sicher von einem Ufer zum anderen zu bringen. „Ich frage mich, wie die damaligen Bewohner der Region vor dem Brückenbau von einem zum anderen Ufer gelangten?“, überlegt Tanja. „Hm, ich denke, sie mussten solange an der Meerenge entlanggehen, bis sie sich weitet. Um so weiter, desto weniger Druck, folglich weniger Fließgeschwindigkeit. Da konnten sie dann mit einem Ruderboot problemlos die Seiten wechseln. Ich denke aber, dass sie auf die Tidenumkehr warteten, also auf dem Zeitpunkt an dem Höchst- und Tiefstand von Ebbe und Flut eintrat. Das ist der Moment, indem der Strom zum Erliegen kommt und man die Meerenge sicher überqueren kann“, antworte ich.
An einem kleinen Leuchtfeuerhäuschen setzen wir uns auf die Stufen, schießen ein paar Bilder und blicken auf die Berge, die ihre schneebedeckten Spitzen in den Abendhimmel strecken, obwohl es erst 14:00 Uhr ist. Bei ca. sechs Grad über null fegen heftige Windböen über das Wasser und lassen uns trotz guter Kleidung frösteln. „Was machen wir mit dem angefangenem Tag?“, bricht Tanja unser einvernehmliches Schweigen. „Ergibt wenig Sinn, heute noch weiterzufahren. In spätestens einer halben Stunde ist es finster und wir können von der atemberaubend schönen Landschaft nichts mehr sehen“, sinniere ich. „Und, außerdem ist es nicht sicher, nachts auf den schmalen, sich ständig hin und her windenden Gebirgsstraßen unterwegs zu sein“, setzt Tanja meine Gedanken laut fort. „Also bleiben wir.“ „Okay gute Idee. Sollen wir zurück zu dem schönen Platz, den wir heute Morgen verließen?“ „Ja, das tun wir“, antworte ich bestens gelaunt, weil es mir dort ausgesprochen gut gefiel. Bevor wir uns auf den Rückweg machen, queren wir mit der Terra die Saltstraumenbrücke, da ein Einheimischer uns berichtete, dass sich auf der anderen Uferseite ein Supermarkt befindet. Dort decken wir uns mit frischen Lebensmitteln ein und kaufen ein Sixpack vom dänischen Bier.
Nachdem wir wieder an unserem Stellplatz sind, ist es bereits 17:00 Uhr. Die Sonne ist bereits vor 2 ½ Stunden untergegangen. Trotzdem erscheint wieder der helle Lichtstreifen am Firmament, den wir gestern schon beobachteten. Der Wind bläst ein Wolkenband von West nach Ost. Als es in das Licht gerät, wechselt es seine schwarzblaue Farbe in ein seidenes Gold. Wieder stehen wir da und versuchen das Geheimnis zu ergründen. „Ich glaube, das Licht kommt von der hell erleuchteten Stadt Bodo auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht. Es wird nach oben gestrahlt, von den Wolken reflektiert und wieder zur Erde zurückgeworfen“, überlege ich laut. „Wäre eine nahe liegende Erklärung“, antwortet Tanja.