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N 50°28'36.0'' E 046°29'02.3''Schweren Herzens müssen wir zur Kenntnis nehmen das es keine Straße nach Samara gibt. Die Polizisten haben sich definitiv getäuscht. “Wie weit ist es noch bis nach Samara?”, frage ich einige Männer vor der Gastiniza. “650 Kilometer”, antworten sie. “Diesmal könnte die Angabe sogar stimmen”, sage ich zu Tanja. Bei herbstlichem Wetter schwingen wir uns in den Sattel. Heute führt uns die Straße für 40 Kilometer kerzengerade nach Norden. Klar hat der Wind wieder gedreht und bläst uns aus vollen Backen entgegen. Offensichtlich ist er die große Prüfung für mich. Die Prüfung des Akzeptierens und Tolerierens. Irgendwie habe ich das Gefühl das er uns solange entgegenwehen wird bis ich auch ihn aus dem innersten meines Seins zulasse.
Wir folgen einer Einsenbahnlinie. Ein vorbeidröhnender Güterzug bläst sein Horn. Der Fahrer winkt uns aus dem Fenster seines Führerhauses entgegen. Freudig winken wir zurück. Auch laut Landkarte gibt es in dieser Region nur alle 100 Kilometer eine Möglichkeit um Nahrung und Lebensmittel zu kaufen. Zweifelsohne ist das Land dünner besiedelt. Kein Wunder das die Zarin Katharina die Zweite von 1763 bis 1767dieses Steppe mit Siedlern aus Bayern, Baden, Hessen, der Pfalz und dem Rheinland besiedelte, um dieses Steppengebiet zu kultivieren. Offensichtlich hat zumindest das Kultivieren des Landes funktioniert, denn große Bereiche sind zu einem riesigen Agrarland umfunktioniert worden.
Trotz der Äcker kündigt sich unweigerlich Sibirien an. Ein Land indem es nur noch wenig Gastinizas geben wird. Aber bis dahin ist noch Zeit. Erstmal sind wir froh wenn wir Samara erreichen. Die Straße ist teilweise furchtbar schlecht. Unsere Räder holpern über den rissigen, aufgeworfenen Asphalt. Straßen wie in Moldawien sind abseits der Hauptrouten auch in Russland an der Tagesordnung. Gott sei Dank besitzen wir gefederte Räder. Sie fangen einen Teil der ewigen Stöße und Schläge ab. Es ist eine unbeschreibliche Belastung für das Material und grenzt fast an ein Wunder wie das unsere Kameras und Laptop durchhalten. Vor allem der Rahmen unseres riese und müller muss beweisen ob er uns ohne zu brechen bis ans Ziel bringt. Der Gedanke an einen Starrrahmen ohne jegliche Federung lässt mir die Haare zu Berge stehen. Muss eine endlose Belastung für die Gelenke und Bandscheiben sein. So holpern wir also über den Straßenacker dahin. Nach 40 Kilometer zweigt er in einem extremen Knick nach Westen ab. Plötzlich treibt uns der Wind nach vorne. “Hurra! Darüber werde ich mich solange ich Rad fahre freuen. Das weiß ich heute schon!”, rufe ich.
Am frühen Nachmittag erreichen wir unseren heutigen Zielort, das Städtchen Staraja Poltawka. Die Dörfer scheinen wie die Straßen auch immer ärmer zu werden. Die Häuser sind zum Teil aus Holz gebaut. Nichts ist hier mit der Region um das Schwarze- und Asowsche Meer vergleichbar. Viele der Seitenstraßen sind nicht asphaltiert. Die einzige Gastiniza ist wie gewöhnlich einfach und sehr heruntergekommen. Nur in dem Zimmer Deluxe gibt es heißes Wasser zum Duschen. Es plätschert aus der Leitung. In der wackeligen Badewanne stehend, in der sich das Email in den letzten 50 Jahren aufgelöst hat, lasse ich mir den warmen Segen über den Rücken tröpfeln.