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Russland/Starominskaya

Bis an die Grenzen

N 46°32'06.2'' E 039°03'31.5''

Kaum verlassen wir die Stadt trifft uns der Seitenwind wieder mit voller Härte. Zu allem Übel knickt die Straße ein paar Grad in Richtung Osten womit uns die Böen von schräg vorne erwischen. Als würden uns riesige Hände zurückhalten erreichen wir wieder kaum mehr als sieben bis Maximum elf Stundekilometer. Unsere Beine lassen die Tretkurbeln im sechsten Gang kreisen. Ein gigantischer Kraftaufwand. Die Strecke ist auch wie in den vergangenen Tagen kerzengerade. Keine Erhebung. Dachten wir doch wir könnten auf dieser Ebene gute Kilometer hinter uns bringen? Und jetzt das. Hat ja auch keiner gesagt das so ein Trip einfach ist und ich habe auch noch nie davon gelesen das Radfahren mit viel Gepäck über lange Distanzen in fremden Ländern einem Zuckerschlecken gleichkommt. Seit gut 50 Stunden hat nun dieser Sturm das gesamte Tiefland am Asowschen Meer im Griff. Noch dazu stärker als gestern und das ohne eine einzige Wolke am Himmel. Seltsam. Russland offeriert schon in den ersten zwei Wochen eigenartige Situationen. Erst diese unerklärliche Anmelderei und dann Dauersturm bei stahlblauem Himmel. Leider noch aus der völlig falschen Richtung. Auch heute schaffen wir so unter keinen Umständen unser Tagesziel. Obwohl es bei unserer Reise nicht unbedingt auf die Menge der zurückgelegten Kilometer ankommt, sondern auf das Unterwegs sein, das Land und seine Bewohner kennen zulernen und auf Grund der gemachten Erfahrungen selber reifen zu dürfen, würde ich trotzdem gerne unser Ziel erreichen. Das Ego ist halt doch ein Bestandteil unseres menschlichen Seins. Na ja, Hauptsache gesund. Nur der Spaß bleibt bei diesen Strapazen auf der Strecke.

Nach 30 Kilometer suchen wir einen Platz, um unseren Körpern eine Pause zu gönnen. Leider ist weit und breit kein geeigneter Ort zu sehen. Es gibt keine Bäume, um sich dahinter zu verstecken. Nach wie vor erlaubt sich die Fahrbahn kaum eine Kurve und links und rechts sehen wir nur Felder die mit dem Winkelmesser geplant in die Haut der Mutter Erde gedrückt worden sind. Wir versuchen es im Straßengraben aber auch da werden wir fast raus geblasen. Dann taucht eine Baumallee auf die den Asphaltstreifen säumt. “Hurra!”, rufen wir. Doch selbst hinter den dicksten Stämmen weht es ohne Ende. Mein Blick fällt nach oben. Die Äste biegen sich in den Sturmböen und ächzen bedenklich. “Wir müssen hier weg”, sage ich mit Nachdruck, denn nur wenig weiter hat es vor kurzem einen der großen Bäume umgehauen. Mehr torkelnd als fahrend setzen wir unsere heutige Odyssee fort. Dann eine kräftige Windböe die uns beide aus dem Sattel hebt. In Sekundenbruchteilen schnellen unsere Beine auf dem Boden und verhindern so einen Sturz. Tanja und ich sehen uns verblüfft an. Kein Kommentar. Was soll man dazu auch kommentieren? Uns schwinden die Kräfte. Die nächste Ortschaft ist weit entfernt. Hier auf offenem Feld zu campen ist unmöglich. Erstens nicht erlaubt in Russland und zweitens viel zu gefährlich. Noch dazu kommt das wir unser Camp nirgends verstecken können. Kein Busch, kein Baum. Dann endlich, nach langer Zeit, entdecken wir doch eine verheißungsvolle Baumreihe die zwei Felder voneinander trennt. Dort finden wir zu unserem Glück etwas Windschatten. Wir stärken uns mit einer kräftigen Nahrung. Dann geht’s weiter. Immer weiter gegen den Wind. Wie soll ich diese Situation beschreiben? Sie ist kein Alptraum aber zweifelsohne so etwas Ähnliches.

Nach über sechs Stunden erreichen wir den Ort Starominskaya. Gleich nachdem Ortsschild dürfen wir uns wieder in den Schutz der Häuser und Gebäude ducken. “Tut das gut!”, ruft Tanja. Tatsächlich haben wir wieder Glück und finden eine Gastiniza. Die Betreiberin muss allerdings erstmal bei der örtlichen Miliz anrufen, um zu fragen ob sie zwei Deutsche Reisende überhaupt aufnehmen darf. “Ich habe keine Lizenz um Ausländer unterzubringen”, verstehe ich. Da heute Sonntag ist findet sich kein Polizist im Amt. Es dauert. Ich warte. Tanja bewacht unterdessen die Räder. “Ich hatte mal zwei Franzosen einquartiert ohne mir bei den Behörden die Genehmigung eingeholt zu haben. Ich sage dir, das war vielleicht ein Ärger”, erklärt sie mir während es in der Telefonleitung lang gezogen klingelt. Dann hebt tatsächlich jemand ab. Die Wirtin lächelt mich viel versprechend an. Sie zwinkert mir freundlich zu und legt den Hörer auf die Gabel. “Alles klar. Ihr dürft bleiben. Bringt aber bitte eure Räder ins Zimmer. Da sind sie sicherer als draußen”, empfiehlt sie. Mir auch recht. Heute würde ich trotz Müdigkeit die Räder sogar in den vierten Stock schleppen. Hauptsache wir haben ein Quartier für die Nacht und Schutz vor dem bösen Wind.

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