Ein Tag, der es wert ist, gelebt zu werden
N 45°25'53.9'' E 028°03'16.2''Wir verabschieden uns von der lieben Mama Maria und ihrem Mann Christi. “Drum Bun”, (Gute Reise) sagt sie mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Maria drückt, küsst und herzt uns. Dann lässt sie uns ziehen. Die letzte Nacht im Americano verläuft ebenfalls reibungslos. Mit neuer Energie brechen wir am Morgen auf und lassen das Grenzörtchen Isaccea hinter uns. Obwohl uns Mama Maria diesen Aufenthalt mit Freundlichkeit und Herzenswärme versüßt hat sind wir nicht traurig weiterzukommen. Kaum passieren wir das Ortschild werden wir, wie soll es anders sein, von einem Zehnprozenter begrüßt. Tanja steigt ab um ihr Knie zu schonen während ich die Herausforderung annehme. Ich freue mich darüber das erste Mal auf dieser Reise die Steigung zu bewältigen ohne schieben zu müssen. “Und? Wie geht es deinem Knie?”, frage ich als Tanja den Höhepunkt der Erdrunzel erreicht hat. “Sehr gut”, erleichtert mich ihre Antwort. Zwar hat uns Mama Maria versichert ab Isaccea keine Hügel mehr radeln zu müssen, jedoch ist es wie wir befürchtet hatten. Die Erhebungen mit denen wir uns täglich abrackern sind für Autofahrer kaum spürbar und deshalb offensichtlich nicht sichtbar. Obwohl wir uns hier direkt an der Donau befinden ist die Verkehrsader in die auslaufenden Berge gebaut worden. Ich denke der Grund liegt darin, dass es sinnvoll ist Straßen nicht in ein von Überschwemmungen gefährdetes Gebiet wie der Tiefebene zu errichten. Trotzdem kommen wir sehr gut voran. Unsere Kondition verbessert sich noch immer und die Hügel nehmen wir heute mit Gelassenheit. Vielleicht liegt es daran, dass wir unseren Körpern viel Zeit geben sich an die Belastungen zu gewöhnen.
Die Landschaft hier an der östlichen Grenze von Rumänien beeindruckt uns mit ihrem außergewöhnlichen Reiz. Da wir jetzt der Donau wieder stromaufwärts bis zur Grenzstadt Galati folgen, liegt sie zu unserer Rechten. Von der Straße sehen wir in ein breites saftiges Delta durch welches sich die Königin der Flüsse schlängelt. Unterbrochen wird das Tiefland durch kleine und größere Seen. Schilf biegt sich im Westwind. Ab und an strecken unscheinbare Häuser ihre Dächer in den wolkenverhangenen Himmel. Die Temperaturen sind für uns perfekt. Nur selten zwingt sich ein Sonnenstrahl durch eine Wolkenritze und wird von den Wassern unter uns reflektiert. Manchmal halten wir an um einige Bilder zu schießen. “Dort drüben ist die Ukraine”, sage ich und deute auf das gegenüberliegende Ufer der Eben. Zu unserer Linken erhebt sich eine leichte Berglandschaft die in unserer Karte als Muntii Macin angegeben ist. Im Einklang lassen wir unsere Tretkurbeln kreisen. Die letzen 16 Kilometer vor Galati verneigen sich die Hügel vor einer bretterflachen Ebene. Wind bläst uns entgegen. Nur wenige Autos befahren diese Strecke. Vor uns liegt eine Fährstation die uns über die Donau zur ca. 300.000 Einwohner-Stadt Galati bringt. Wir überholen wartende Lastwägen und Pkws und plötzlich erreichen wir das Ufer. “Dort drüben kannst du die Tickets kaufen”, erklärt mir ein ebenfalls im Auto wartender Mann. Während Tanja die Räder bewacht besorge ich für unsere Roadtrains die Billetts. 2 1/2 Ron, ca. 0,75 Euro muss ich pro Drahtesel bezahlen. Als hätten wir die Reise bei einem gut arbeitenden Veranstalter gebucht klappt heute alles wie am Schnürchen. Wir dürfen unsere Räder als Erste auf das Deck des Fährschiffes rollen. Dann kommen die Autos und am Schluss die Lastwägen. Kräne und Schornsteine verschandeln das Antlitz der Hauptstadt des Bezirkes Galati. Galati selbst ist eine Industriestadt in der es unter anderem Sägewerke, Mühlen, Seilereien, Erdölraffinerien, Stahlwerke und eine Schiffswerft gibt. Als das Schiff ablegt stehen wir an der Reling und lassen unsere Augen über den Hafen gleiten. Bis hierher kommen die Hochseeschiffe aus dem Schwarzen Meer, um ihre Güter aus aller Herren Länder zu löschen. Zu den wichtigsten Exportgütern gehören z.B. Getreide, Vieh und Bauholz. Schon im 15.Jahrhundert wurde die Stadt erstmals erwähnt. Im 16.Jahrhundert entwickelte sie sich zu einem bedeutenden Donauhafen. Von hier fand vor allem ein Warenaustausch mit Konstantinopel statt. Bereits um 1828, dem Ende der Türkenherrschaft, setzte die Entwicklung zum internationalen Hafen ein.
Da wir mit Grenzstädten bisher nicht immer die besten Erfahrungen gemacht haben sind wir gespannt was uns hier erwartet. Für uns bedeutet diese Metropole der Sprung in ein anderes für uns völlig fremdes Land. Nur ca. 13 Kilometer von hier stoßen drei Staaten aufeinander. Moldawien, Ukraine und Rumänien. Doch bevor wir über die Grenze nach Moldawien springen müssen wir hier Filme und Bilder- CDS nach Deutschland schicken. Galati ist für uns also ein kurzer Arbeitstopp.
Schon nach 15 Minuten Fahrt legt das Fährschiff an. Diesmal dürfen erst die schweren Lastwägen von Bord, dann die Autos und am Ende wir. Ein freundlicher Rumäne hilft Tanja ihr Rad nach oben zu schieben und schon befinden wir uns mitten im Berufsverkehr einer Großstadt. Wir hecheln einen steilen Berg nach oben und erreichen eine hässliche Verkehrsader. Es dauert eine Weile bis sich ein Autofahrer erbarmt uns über die Hauptstraße zu lassen. “Wo müssen wir hin?”, fragt Tanja. “Wenn ich das wüsste”, antworte ich und studiere erstmal die Karte. Wir benötigen hier eine Pension oder ein Motel. Doch da wir aus Gewichtsgründen ohne Reiseführer unterwegs sind müssen wir uns jedes Mal von neuem auf unser Glück verlassen. “Dort drüben ist eine Tankstelle. Lass uns da mal fragen!”, rufe ich um den Verkehrslärm zu übertönen. “Du musst wieder den Berg hinunter und an der Donau entlang. In dieser Richtung kommst du ins Zentrum da findest du nichts Geeignetes”, erklärt mir ein Mann. Ich überlege ob ich mich auf die Aussage des Mannes verlassen kann und wirklich wieder den Berg hinunter muss. “Was hältst du davon?”, frage ich Tanja. “Ohne mich. Wer weiß ob der uns nicht wieder in eine völlig falsche Richtung schickt. Ich habe mir den Hügel hart erkämpft und gebe ihn nicht so einfach wieder her”, höre ich. Dann frage ich den Mann noch mal ob er sich wirklich sicher ist. “Ja, ganz sicher. Dort findest du nichts. Ach weißt du was? Ich fahre voraus und zeige wo ihr hinmüsst”, schlägt er in gutem Englisch vor. Obwohl sich Tanja noch ein wenig sträubt kann ich sie davon überzeugen ihren Berg wieder aufzugeben. Wir brausen nun dem Auto nach der uns die Straße mit seiner Warnblinkanlage freihält. “Wieder so ein Engel”, geht es mir durch den Kopf, denn es geschieht nicht zum ersten Mal das uns wildfremde Menschen so uneigennützig helfen. Vorbei geht es direkt an der Donau. Die Landschaft ist so schön, dass ich glaube in einem Märchenwelt unterwegs zu sein. Wo sind die stinkenden hässlichen Schlöte die wir von der anderen Uferseite gesehen haben? Auf jeden Fall nicht hier, denn Bäume säumen die Promenade und Villen die Hänge. Mitten an der breiten schönen Alle hält er an. “Dort oben ist eine Pension. Wenn du da mal fragen möchtest? Vielleicht nehmen die auch eure Räder auf. Wenn nicht frag noch mal ein paar hundert Meter weiter in dem Hotel nach. Siehst du es?”, erklärt er und zeigt den weiten Boulevard hinab. “Vielen Dank”, antworte ich und möchte mich verabschieden. “Gerne geschehen. Weißt du? Ich war schon oft in Deutschland. Ist ein fantastisches Land. Ich kaufe dort immer die Autos für den Fernsehsender von Galati ein. Ist ein sehr gutes Geschäft und ihr habt tolle Autos”, lacht er und fährt davon. Ich steige die Stufen zur Pension nach oben. Dann betrete ich einen grünen sehr gut gepflegten englischen Rasen. Ich traue meinen Augen kaum, denn in dem Garten stehen weiße Stühle und Tische. “Was für ein fantastischer Ort um ein paar Arbeitstage einzulegen”, flüstere ich. Voller Erwartung öffne ich die Tür zu der vornehmen Villa. Kaum betrete ich den Raum werde ich in perfektem Englisch begrüßt. “Es tut mir sehr leid. Unser Haus ist fast immer ausgebucht”, werde ich enttäuscht. Etwas ratlos stehe ich einige Augenblicke herum. “Wenn sie möchten rufe ich für sie gerne ein anderes Hotel an”, schlägt die sehr hilfreiche Dame vor. “Oh, das ist nett. Gerne”, freue ich mich. Dann bekomme ich einen Zettel mit dem Namen des Hotels und einer Erklärung wie wir es finden. Nur 10 Minuten danach erreichen wir Hotel Alex. “Gerne dürfen sie ihre Räder bei uns unterstellen”, sagt das Mädchen an der Rezeption mindestens genauso freundlich wie alle anderen Menschen die wir bisher in dieser Stadt getroffen haben. Tanja und ich sind überrascht. Galati, eine Industrie- Hafen- und Grenzstadt, empfängt uns mit einer bisher kaum erlebten Offenherzigkeit und Gastfreundschaft. Die Mädchen von der Rezeption lassen es sich nicht nehmen uns zu helfen die Ausrüstung ins Zimmer zu tragen. “Wir wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt in unserer Stadt”, sagt die Eine. “Oh, vielen Dank”, antworten wir bestens gelaunt. Am Abend schlendern wir durch eine gut besuchte und begrünte Fußgängerzone zur Donau. Das Leben und Treiben hier erscheint uns fröhlich, als würden die Menschen darauf warten in eine andere Welt zu treten. Irgendwie scheint hier eine Art freudige Aufbruchsstimmung zu herrschen. Für uns ist die Situation nicht ganz nachvollziehbar. Ob sich unsere Laune hier reflektiert? Oder sind es die Bewohner die uns so Stimmen? Warum empfinden wir diesen Ort so angenehm? Eigenartig. Könnte es wirklich sein das dieses Stadtviertel so positiv ist? Was es auch immer sein mag, so könnte ich mir den weiteren Verlauf unseres Lebens vorstellen. Schon seit Beginn dieser Etappe haben wir das Gefühl als wäre etwas mit uns geschehen. Gelassenheit, Liebe, Freundlichkeit, gute Erlebnisse, angenehme Begegnungen, Gastfreundschaft, Zuvorkommendheit sind bald an der Tagesordnung. Obwohl unsere bisherigen Reisen auch meist unter einem positiven Stern standen ist jetzt zweifelsohne mehr Harmonie hineingekommen. Wir wissen nicht ob das eine Momentaufnahme des Lebens ist. Wenn, dann wollen wir diesen Moment so gut es nur geht genießen und weiter vordringen in das Herz von Osteuropa und in die Herzen der östlichen Länder.
Wir finden ein günstiges Restaurantschiff direkt an der Donau. Die Abendsonne hat die Wolken schon lange vertrieben und gibt sich ebenfalls große Mühe uns zu gefallen. Große Frachter und Ozeanschiffe gleiten im letzten warmen Licht des Tages langsam an uns vorbei. In der Entfernung sehen wir die Muntii Macin, die Berge, an denen wir vor wenigen Stunden noch vorbeigeradelt sind. Die eigenwillige und fremdartig klingende Musik einer einheimischen Band hallt über die Weite, vereint sich mit dem leisen Tuckern der Frachter und wird von einem lauen Wind in die Ferne getragen. Was für ein Tag, dieser Tag. Ein Tag der es wert ist gelebt zu werden.